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PASSUS IX - Spuren in der Asche - Druckversion

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+--- Thema: PASSUS IX - Spuren in der Asche (/showthread.php?tid=341)

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RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Arkanis - 23.09.2019

Ich nickte Avis zu und meinte es genauso, wie ich es sagte.
 
“Ja, vielleicht finden wir sie noch.“ Die Chance war verschwindend gering, dessen war ich mir bewusst. Doch ich hatte meinen Sohn gefunden. Ich hatte begonnen, an das unmögliche zu glauben. Die Grenzen waren verschwommen.
 
Seite an Seite näherten wir uns dem schlafenden Rudel, im dunkelroten Licht des hereinbrechenden morgens konnte ich bereits ihre Schemen ausmachen. Ich sah hinab zu Avis und spürte, dass meine Rute sachte hin und her pendelte. Ich freute mich auf diese Begegnung, sah bereits im Geiste das Leuchten in den Augen meiner beiden Söhne, nun, da sie sich endlich wiederhatten. Wie sehr ich sie vermisst hatte. Wir traten näher, bis die einzelnen Körper deutlich zu sehen war und mein Blick blieb kurz auf dem schlafenden Kimya liegen. In meiner Kehle sammelte sich ein Kloß, ohne genau zu wissen, warum. Ich ignorierte das Gefühl so gut es ging. Das hier war nicht die Zeit für Grübeleien.

"Bereit?", fragte ich und beugte mich dabei leicht zu Avis hinab. Doch ich gab ihm nicht viel Zeit, mir war bewusst, wie bereit er für diese Begegnung sein musste. Dieses Wiedersehen war längst überfällig.
 
Mit einem leisen Wuffen machte ich auf uns aufmerksam, ich wollte die Schlafenden nicht unnötig erschrecken. In einem Abstand von guten zehn Metern blieb ich stehen, die Pfoten spielten sachte im weichen Gras, als ich meinem Körper befahl, hier zu verweilen. So würde ich einen guten Überblick behalten können. Außerdem war ich noch immer eine Fremde hier und dieser Moment gehörte dem Rudel. Vielleicht würde es niemals mein Rudel sein, aber trotzdem waren sie nun meine Heimat. Das reichte mir. Den nächsten Schritt überließ ich Avis, mein Hintern senkt sich langsam zu Boden.


RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Avis - 23.09.2019

Die Hoffnung auch die anderen noch zu finden, mochte vielleicht verschwindend gering sein und doch würde ich nicht so schnell aufgeben. Das dieser Gedanke vor einigen Stunden noch ganz anders in meinem Kopf geklungen hatte, ignorierte ich. Aber es stimmte schon, die Erschöpfung und Resignation hatte mich beinah besiegt und es war nur meiner Mutter zu verdanken, dass ich mich meinem eignen Elend nicht hingab. Sie war in dem Moment zurückgekehrt, in dem ich am wenigsten mit ihr gerechnet hatte und sie gleichzeitig wohl am meisten brauchte. Arkanis hatte Fehler begangen, die ich ihr nicht so schnell verzeihen konnte, aber sie hatte mich gefunden und führte mich zurück zu meinem Bruder und unserem kleinen Rudel oder was von dem noch übrig war.

Ich atmete einmal tief durch und setze mich an der Seite meiner Mutter wieder in Bewegung. So müde und abgekämpft ich auch war am Ende des Weges wartete Kimya unwissend auf mich und ich sehnte mich danach ihn endlich wiederzusehen, mich zu versichern, dass es ihm gut ging und er das Feuer gut überstanden hatte. Der Weg fühlte sich ewig lang an und je länger wir liefen, desto mehr schmerzte meine Pfote wieder. Die Haut an meinen Ballen war einfach noch zu empfindlich, trotzdem zwang ich mich dazu es mir nicht anmerken zu lassen. Hauptsache wir waren bald da...
Als der große Feuerball irgendwo am Rand der Welt kratze und den Himmel in ein Farbenspiel aus Rot und Gelb verwandelte, nahm ich eine bekannte Witterung wahr, so dass ich meinen Kopf hob und die Ohren spitzte. Da vorn! Da waren die Schemen einiger Wölfe zu sehen! Ich beschleunigte meine Schritte, verzog schmerzlich die Lefzen, weil die doofe Pfote nicht so wollte wie ich.
Dann hüpfe ich eben auf drei Beinen! Und genau das tat ich auch bis Arkanis und ich nur noch gute zehn Meter von den Schlafenden entfernt waren. Da waren Skadi, Kaya und Rúna… und daneben mein kleiner Bruder!

Unweigerlich begann meine Rute hin und her zu wedeln, ich war mir nicht mal sicher warum ich nicht einfach weiterlief, vielleicht wartete ich unbewusst auf die Erlaubnis von Mama oder es war doch die Angst es könnte noch immer alles nur ein Traum sein aus dem ich jeden Moment erwachte. Auf ihre Frage hin kam kein Laut über meine Lefzen, lediglich ein deutliches Nicken und dann rannte ich halb hüpfend und mit ganzen Körper vor Freude wedelnd auf Kimya zu, der durch Mutters Wuff gerade wach wurde und sich verschlafen umsah.

“Kimya!“, rief ich freudig, “Kimya, ich bin es! Bruderherz, ich hab dich so vermisst!“
Mit den letzten Worten warf ich mich halb gegen und halb auf ihn, leckte ihn ab und knabberte an seinem Fell, wuselte um ihn herum und vergrub schließlich meine Schnauze in sein Fell, um seinen Duft tief einzuatmen. Er war es wirklich.


RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Kimya - 29.09.2019

Jeder Muskel in meinen Beinen brannte. Aber ich konnte es verhindern, dass sie zitterten. Langsam bewegte ich meinen Körper ganz nahe über den Boden voran. Jeder Lauf wechselte sich ab, um in Zeitlupe nach vorne zu schleichen. Ich spürte das hohe Gras, dass sich an meinen Körper schmiegte, während ich hindurch watete. Ich erinnerte mich an die Lektionen über Windrichtung, Fährten lesen und Geduld haben. Und ich setzte alles um. Das erste Mal für mich.
Endlich verstand ich Skadis schimpfe. Sie hatte uns immer drangsaliert das beste zu geben. Kein albern und scherzen beim lernen. Zielorientiert. Und wenn wir schimpften, dass sie zu streng sei, kam die Predigt:
“Ihr sollt doch nicht für mich gut sein. Das ist nur für euch und euer Erfolg. Für euer Überleben. Also reißt euch endlich zusammen! Nochmal von vorne.“

Der Wind drehte und ich wusste: Jetzt mussten wir los laufen. Und so war es auch. Neben den anderen Treibern startete ich im richtigen Moment los. Und wir - neben mir liefen Avis und Chu - trieben die Herde in die Enge. Es lief perfekt. Besser als jede Übung. Die harte Schule zahlte sich endlich aus. Endlich verstand ich. Aber während ich lief, dachte ich darüber gar nicht nach. Es geschah einfach, als hätte ich es schon oft getan. Und dann wurde das schwächste Reh zu Fall gebracht. Ich wollte mich gerade drauf stürzen, als Mutter rief.


Ich öffnete verschlafen und verwirrt die Augen. Ich sah zu Mutter, die gerufen hatte. Es war keine Warnung. Kein Befehl. Nur ein Bescheid geben. Aber wieso riss sie mich aus diesem schönen Traum? Dann sah ich neben ihr Avis, der kurz zögerte, und dann auf mich zu lief. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, was passierte. Erst als seine Worte an mich heran kamen, sprang ich auf. Und so wie ich stand, lag ich auch wieder – und mein geliebter Bruder lag über mir, zwickte mich, drückte seine Nase in mein Fell und leckte mich. Ich sprang wieder auf, quietschte und winselte vor Freude. Meine Rute wedelte so stark von einer zur anderen Seite, dass mein ganze Hinterkörper mit wackelte.
“Avis!“
Quietscht ich nur. Immer und immer wieder.
Ich lief aufgeregt um ihn herum, nur um ihn wieder an zu springen und an seinem Fell zu zupfen. Natürlich fiel mir auf, wie schlecht er aussah. Abgemagert, stumpfes Fell, lahmend auf einem Lauf. Er roch nach einer schlimmen Zeit und sah danach aus. Chu und Erasmus waren nicht bei ihm. Er muss das schlimmste durch gemacht haben. Aber meine Freude war größer als der Schreck. Er war wieder hier, bei mir. Da wo er hin gehörte. Er lebte und war nun endlich wieder in Sicherheit!
“Oh ich wusste, dass du es schaffst! Ich habe nie daran gezweifelt, keine Sekunde. Nichts macht dich nieder,. Nichts! Du bist der Beste. Du bist der Beste Avis! Ich liebe dich so sehr. Endlich bist du wieder da, endlich sind wir wieder zusammen!“

Meine Worte waren zu Beginn aufgeregt und laut. Aber ich wurde mit jedem Satz leiser. Mein letzter Satz war nur noch ein Hauchen in seine Richtung. Tränen der Freude und Erleichterung liefen mir, als ich ihn begrüßte.
Alles Andere um mich herum verschwamm. In diesem Moment sah ich nur Avis, der endlich wieder zu Hause war. Zu Hause, das war kein Ort, das war dieses Gefühl.


RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Avis - 13.10.2019

So vieles fiel von mir ab als ich Kimya endlich wiederhatte, ihn nicht nur sah, sondern auch roch und fühlte. Er war wirklich da, keine Einbildung und es ging ihm gut. Nicht ein Haar schien ihm zu fehlen und doch konnte ich nicht ahnen was in den letzten Wochen in ihm vorgegangen war. Im Augenblick war das auch vollkommen nebensächlich, denn die Freude über das Wiedersehen war viel zu groß und meine Lefzen hoben sich zu einem breiten Grinsen als Kimya immer und immer wieder meinen Namen quietschte und wir um einander herumhüpften, uns aufeinander stürzten und unsere Nasen im Fell des Anderen vergruben.

“Natürlich bin ich das!“,

erwiderte ich großspurig, dabei hatte ich mich beinah aufgegeben und war überhaupt nicht so, wie mein kleiner Bruder mich immer sah. Aber er gab mir dieses Gefühl zurück, weil er schon immer zu mir aufgesehen hatte und es freute mich, dass er nie daran gezweifelt hatte, dass ich es zurück zu ihm schaffte. Ich sah die Tränen aus seinen Augen kullern und konnte nur mit Mühe verhindern, dass meine Seelenspiegel es ihm gleichtaten. Starke, große Wölfe weinten nicht, das war etwas für Wölfe wie Kimya und doch ging es mir nah.
Ich schleckte ihm das Nass von seinem Wangenfell und knuffte ihn sanft mit der Nase.

“Ich hab dich auch lieb und so vermisst, aber jetzt bin ich ja wieder da und nun hör auf zu heulen“,

sagte ich und schleckte ihm gleich noch einmal über die Wange, über die sich eine weitere Träne der Freude und Erleichterung schlich. Er hatte niemals aufgehört an mich zu glauben und ich war mir sicher, dass Kimya dafür gesorgt hatte, dass auch ich die Hoffnung nie verlor. Ganz gleich wie weit entfernt er gewesen war. Schnaufend ließ ich mich auf mein Hinterteil nieder und lehnte mich gegen meinen Bruder, während meine Rute noch immer vor Freude leicht über den Boden wischte.

“Ich dachte ich hätte dich in den Flammen verloren“,

murmelte ich an seinem Ohr,

“aber ich habe nicht aufgehört nach dir zu suchen. Niemals.“

Auch wenn ich es beinah getan hätte, weil mich die Einsamkeit und Erschöpfung immer mehr in ihren eisernen Griff gezogen hatte.
“Noch einmal lass ich dich nicht allein“, sagte ich immer noch leise an seiner Seite und gab mir damit selbst ein Versprechen, denn ich wollte nicht noch einmal allein sein und Kimya war mir wichtig, sehr wichtig.


RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Kaya - 14.10.2019

Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich das, was in den letzten Momenten geschehen war, nur geträumt hatte, mir meine Eindrücke einen Streich spielten – oder es wirklich passiert war. Aber es schien so und irgendwie hätte ich nicht abstreiten können, froh hierüber zu sein.

Satt wie ich war, streckte ich meine Läufe von mir und ließ mir den leichten Wind durch den Pelz brausen. Hier zu liegen würde mich vermutlich noch eine halbe Ewigkeit erfüllen können, aber Sinn der Sache war es nicht. Und außerdem bekam ich ja keine neuen Eindrücke, wenn ich hier einfach liegenblieb und langsam mit dem Boden zu verschmelzen drohte.

Es mochte sein, dass ich Stimmen im näheren Umkreis hörte, doch als ich in die Gegend blinzelte, war niemand zu sehen. Nun packte mich die Neugier dann doch ein wenig und ich brachte mich mit einiger Anstrengung auf alle Viere und streckte mich fiepgähnend. Erst jetzt merkte ich, dass ich hier ziemlich singulär herumgelegen hatte.

Unweit von mir machte ich die Stimmen wieder aus, die mich schon auf die Läufe gebracht hatten. Als ich mich zur Ruhe gelegt hatte, hatte ich mich ungefähr zwischen dem jungen Rüden und Runa befunden, nun aber wurden meine Lebensgeister so richtig erweckt, als ich Freude zu vernehmen glaubte. Ich machte einige Schritte in die Richtung der Akustik und begann, nicht schlecht zu staunen.

Avis und Kimya. Vereint, als hätte es diese schmerzhafte Trennung nie gegeben.

Nun, zumindest räumlich mochte das durchaus zutreffen, aber ich bin ein schlechter Stimmungsleser, weshalb ich mir nicht ganz sicher war, wie groß die Freude auf Kimyas Seite wirklich war. Ich versuchte, zu beobachten, doch schon wenige Momente später überkam mich die Neugier und ich setzte mich langsam in Bewegung, auf die beiden jungen Rüden zu. Dennoch blieb ich achtsam, mochte ich doch den Moment nicht unnötig stören. So wie es aussah, ein schöner Moment.


RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Skadi - 15.10.2019

Ich war noch wach, als ich eine Bewegung im Lager wahr nahm. Ohne meinen Kopf zu heben öffnete ich die Augen und beobachtete, wie  Arkanis sich aus der Gruppe löste und in den Wald ging. Sie blickte nicht lange zurück, ging weder auffällig langsam oder schnell. Und dann war sie zwischen den Gebüschen verschwunden.
Es war nicht das erste Mal, dass sie sich zurück zog. Und dennoch hatte ich dabei einen bitteren Gedanken. Trauen konnte ich ihr noch nicht. Auch wenn sie uns, ohne Zweifel, bei der Jagt eine grandiose Hilfe gewesen war. Und auch der Umgang mit Kimya war trotz der gestörten Bindung liebevoll und gut verlaufen. Ich zwang mich, Arkanis aus meine Gedanken zu drängen und mich auf das positive zu besinnen. Mein Bauch war mehr als voll und ich lag auf weichem, saftigen Boden. Seit langem eine stressfreie Umgebung. Und so holte mich die Müdigkeit wieder ein und ich ließ mich in den Schlaf fallen.
Es fühlte sich so an, als hätte ich eine Ewigkeit geschlafen, als mich ein Bellen weckte. Es war ein freundliches, Bescheid gebendes Bellen ohne Aggression. Es war von Arkanis.
Ich hob irritiert meinen Kopf. Diese Art Kontaktaufnahme war ungewöhnlich. Irgendetwas war anders, das spürte ich sofort, und nervös blickte ich die Umgebung ab. Als dann jedoch Avis von ihrer Seite los stürmte – direkt rufend auf den schlafenden Kimya zu, begann meine Rute augenblicklich aufgeregt von einer zur anderen Seite auf dem Boden zu wischen.
Die pure Freude fand vor uns statt. Und ich ließ mich anstecken, konnte meine eigene Freude nicht ansatzweise verbergen. Und ich wollte es tatsächlich auch nicht. Avis war wieder da. Kimya war endlich wieder vereint mit seinem Bruder.
Kimyas Anspannung der letzten tage löste sich, und es liefen im die Tränen aus den Augen. Ich war gerade auf den Weg zu den Jungen, wollte Avis begrüßen, aber sah dann doch Kaya, der stehen blieb und die Geschwister in dieser Freude alleine ließ.
Mit der Rute wedelnd sah ich zu Kaya und nickte ihm zu, dann lenkte ich meinen Weg um und ging auf Arkanis zu. Es war eine Überwindung, aber ich ließ keine Freude von mir abfallen, als sich der Abstand zwischen uns verkleinerte.

“Du beeindruckst mich.“

Sagte ich nur leise zu ihr, lief einen Halbkreis um sie herum und ließ mich neben ihr nieder. Ich ließ ihr - und mir - dennoch genug Raum. Zwischen und hätte noch einer der Welpen platz gefunden.

“Wie hast du ihn gefunden?“

In meiner Stimme klang Bewunderung mit. Und es war nicht gespielt. Sie hatte mich wirklich beeindruckt. Und auch ihre Rückhaltung bei der Wieder Zusammenführung schätzte ich.

[Will erst Avis begrüßen, geht dann doch zu Arkanis]



RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Arkanis - 16.10.2019

Meine Rute strich sacht über den Boden, teilte das weiche Gras, auf dem ich saß. Ein seltsames Gefühl machte sich in mir breit, ich konnte es nicht greifen. Doch verdächtige Nässe trat in meine Augen, die ich schnell wegblinzelte, während ich der rührenden Szene vor mir zusah.
Ich fühlte mich wie eine Außenstehende, die die beiden Welpen aus sicherer Entfernung beobachtete und nicht anders konnte, als mit ihnen mitzufühlen. Und gleichzeitig konnte man kaum mehr mittendrin stehen, als ich es tat. Das dort waren meine Welpen. Ich hatte endlich meine Söhne wieder!
 
Ich schluckte schwer und bemerkte Skadi erst zu mir treten, als sie schon fast bei mir war. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich sie, auch wenn ich sie nicht direkt ansah und spürte, wie ich mich ganz leicht anspannte, unsicher, was nun kommen mochte.
Doch sie wirkte freundlich und auch ihre Worte erstaunten mich, ich sah sie kurz an und neigte leicht den Kopf, wie zur Begrüßung. Ich hatte noch nicht einmal seit meiner Wiederkehr so ruhig neben Skadi gesessen, beinahe schon entspannt. Doch erneut hatten sich die Umstände geändert. Ich wandte meinen Kopf zu ihr hinüber.
 
“Ich würde dir gerne sagen, dass ich die ganze Nacht unerbittlich auf der Suche gewesen bin, aber das wäre gelogen. Es war tatsächlich Zufall.“ Kurz wanderte mein Blick zurück zu Avis und erneut strich meine Rute sachte über den Boden.
 
“Ich war spazieren und bin in Gedanken verloren drüben im verbrannten Wald gelandet. Tatsächlich hatte ich sofort Kimya im Verdacht, als mir Avis Geruch in die Nase getreten ist. Damit habe ich nicht gerechnet.“, gab ich zu und wandte erneut den Blick ab, legte ihn liebevoll auf meine Söhne. Ich konnte erahnen, dass Skadi meine nächtlichen Ausflüge eher ungern sah, doch das konnte ich nicht berücksichtigen. Dazu hatte ich jedes Recht.
 
Im Hintergrund stand Kaya, vorher hatte ich den Rüden gar nicht wahrgenommen. Es freute mich, dass die beiden Kimya und Avis kurz diesen Moment für sich ließen, auch wenn auch ihnen Avis sicher gefehlt hatte. Ich grüßte auch Kaya mit einem kurzen Nicken und tat dann etwas, was mir ganz und gar nicht ähnlich sah. Ich deutete auf den Boden neben mir und lud ihn damit ein, sich zu uns zu gesellen, wenn er wollte. Die letzten Tage war ich nicht besonders fair zu ihm gewesen und auch wenn ich mich nicht offen bei ihm entschuldigen würde, war dies doch ein deutlicher Versuch der Widergutmachung.

[spricht mit Skadi, kurze Kommunikation aus der Ferne mit Kaya]


RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Kimya - 16.10.2019

Ich vergaß alles um uns herum. Endlich war er wieder da: mein Bruder. Wir waren zusammen.
Er war wie immer. Er ärgerte mich, weil ich schwächer war als er selbst. Aber ich hatte mich verändert. Ich nahm es ihn nicht böse, hörte keinen Angriff in seinen Worten und fühlte mich nicht schlecht. Er war gerade erst zurück – und nun passte er schon auf mich auf. Es störte mich nicht wie früher. Zumindest nicht in diesem Moment.
Meine Nase grub sich ganz fest in sein Fell und ich sog seinen Geruch ein. Er war es. Ganz deutlich. Und doch roch ich auch ganz Anderes an ihm. Dinge, die mir viel Unheil und eine grausame Zeit verrieten, die er gehabt haben muss. Asche und Feuer. Und viel schlimmer: Einen Geruch, den ich an ihm bisher erst sehr selten in ganz brenzligen Situationen wahrgenommen hatte. Angst. Es tat mir im Herzen weh zu wissen, dass er gelitten hatte. Eine weitere dicke Träne kam aus meinen Augen geflossen, als ich mir ausmalte, was mein Bruder erlitten hat.
“Ich lasse dich auch nicht mehr gehen Avis. Ich hatte so eine Angst dich nie wieder zu sehen.“

Hauchte ich ganz leise in sein Fell. Dann lehnte ich mich an ihn, aber sprang im selben Moment wieder auf. Seine Rippen hatten sich unangenehm in meine Seite gedrückt. Er war abgemagert, aber wir hatten Fleisch hier.
Ich stand strahlend und mit wild pendelnder Rute vor ihm.

“Ich hab gejagt heute! Und komm mit, wir haben noch ganz viel! Du musst am verhungern sein!“

Fast mütterlich leckte ich ihn über die Nase, dann hüpfte ich voran zu dem Fleisch- und Knochenhaufen, der von dem Reh übrig geblieben war.


RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Avis - 20.10.2019

Ich bekam die anderen des Rudels nur am Rande mit, sah aus dem Augenwinkel wie sich Kaya und Skadi näherten und doch hatte ich im Moment nur Augen und Ohren für meinen Bruder. Die anderen mussten warten, wenngleich ich froh war auch sie wieder zu sehen. Später würde ich auch sie begrüßen, ganz bestimmt. Jetzt aber schleckte ich Kimya die Tränen aus dem Fell und ließ mich seufzend auf mein Hinterteil nieder. Die ganze Anspannung, die Erschöpfung alles kam langsam, aber sicher zurück und drückte auf meine schmalen Schultern. Noch wehrte ich mich gegen das Gefühl und die Müdigkeit, versuchte meine Schwäche zu verbergen und für die kleine Heulsuse an meiner Seite da zu sein. Dabei war er gerade derjenige der mir mehr Halt und Zuversicht gab als ich ihm. Ich wollte nie wieder verschwinden und er versprach mir, mich nicht mehr gehen zu lassen. Das war doch gut oder nicht?

Irritiert sah ich zu Kimya, der aufgesprungen war als hätte er sich auf einen stacheligen Igel gesetzt, dabei war ich wohl dieser Igel. Ich hatte in den vergangenen Tagen nur wenig Futter gefunden und daneben auch wenig Erfolg bei der Jagd nach Kaninchen, ich hatte allerdings vollkommen vergessen, dass man mir die letzten Wochen auch ansah. Das passierte ganz einfach, immerhin konnte ich mich schlecht selbst sehen… ich spürte nur, dass der Untergrund in letzter Zeit härter und unbequemer gewesen war.

“Was hast du?“,

fragte ich nach und bekam prompt eine Antwort, die mein Magen schmerzlich zusammenzog und ein lautes Knurr-Gluckern zurückließ. Musste ich noch etwas sagen?

“Das kannst du laut sagen! Ich könnte drei Bären verschlingen“,

sagte ich und fing an zu sabbern bei dem Gedanken an etwas zu fressen. Schwerfällig erhob ich mich und hüpfte auf drei Beinen hinter Kimya her, wobei ich nicht drumherum kam kurz zu Mutter und den anderen zu schauen. Ob es in Ordnung war, dass ich erst fraß und sie dann begrüßte? Ich war hin und her gerissen… letztlich siegte der Hunger!
Ich starrte auf die Überbleibsel des Kadavers und dann zu meinem kleinen Bruder.

“Das hast du gejagt?“,

fragte ich und riss mich noch einmal von dem leckeren Anblick los, um Kimya anzulächeln,

“gut gemacht!“

Mehr konnte und wollte ich dann auch gar nicht mehr sagen, weil sich mein Magen schon wieder zusammenzog. Ich schnappte mir ein Stück der Vorderkeule und ließ mich ein wenig unsanft auf den Boden fallen, während meine Zähne sich ganz von selbst daran machten, etwas vom Fleisch zu reißen. Mond im Himmel war das gut. Ich stemmte die gesunde Vorderpfote auf den Knochen und riss einen großen Brocken ab, den ich fast im Ganzen schluckte und damit meinen wütenden Magen zufriedenstellte.

[bei Kimya / sieht sich kurz zu den anderen um / geht zum Kadaver und frisst]



RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Kimya - 29.10.2019

Ich tänzelte neben Avis her, als wir zum Futter gingen. Natürlich sah ich seinen lahmenden Gang, seine Margerheit und seinen katastrophalen Zustand. Aber er war wieder da. Und das zählte. Außerdem wusste ich, dass er keinen Mitleid wollte. Um so mehr man ihn Hilfe offensichtlich anbot, um so mehr sperrte er sich. Er würde mich von sich jagen. Und das würde ich jetzt nicht ertragen. Er kam sofort bereitwillig mit zum Fressen und ließ sich damit schon genug helfen.
Und dann kam eine Frage, die mich breit strahlen ließ.
Eifrig nickte ich.
“Ja ja! Ich war dabei!“

Ich schmiss mich auf den Boden in eine lauernde Haltung und setzte langsam eine Pfote vor die Andere. Dies tat ich, bis alle Läufe einen Schritt gegangen waren, dabei sah ich Avis beim Fressen zu.

“Ich habe mich ewig angepirscht. Jeder Muskel hat gezittert, das kannst du dir nicht vorstellen! Aber ich habe ausgehalten, ganz still, ohne Ton und keine plötzlichen Bewegungen. Und dann als sich der Wind gedreht hat – ich wusste sofort, dass wir los stürmen mussten. Und das wussten wir alle im Selben Augenblick! Oh Avis, das ist so großartig mit den erwachsenen zusammen zu jagen. Ich war wichtig für den Erfolg. Und ich habe niemanden enttäuscht. Und jetzt kannst du noch davon satt werden!“
Die Worte platzen nur so aus mir heraus, während ich meinem Bruder die Bewegungen zeigte. Auch das los sprinten und den Absprung – ich sprang dafür über meinen fressenden Bruder herüber und rollte mich hinter ihm ab. Dann lag ich auf der Seite und lachte ihn an. Meine Freude sprudelte nur so aus mir heraus.
In diesem Moment hatte ich noch gar nicht realisiert, dass er alleine war – ohne Chu. Ich vergaß komplett, dass ihre Seele noch irgendwo da draußen umher irrte. Ich sah nur Avis und mich. Unser Glück, dass wir wieder beisammen waren.