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PASSUS IX - Spuren in der Asche - Druckversion

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RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Kaya - 11.06.2019

Es waren kaum weitere Momente vergangen, da hatten wir Kimyas Vorsprung auch schon minimiert – und der junge Rüde war mit einem Male nicht mehr zu halten oder sonstwie zu bremsen. Kurz machte ich mir Sorgen, ob hier nicht der nächste ins Verderben lief, aber diese Sorge legte sich doch recht schnell.

So richtig erkannte ich noch nicht, welche Zusammenführung hier bevorstand, aber das würde sich sicherlich in den nächsten Momenten klären. Auch Runa hatte sich beschleunigt und hatte die Distanz alsbald größer werden lassen, bis schließlich aber alles irgendwie zum Stillstand kam. Ich war bemüht, mir meine Neugier nicht anmerken zu lassen und beobachtete sowohl Wölfin als auch Kimya genau, ebenso wie ich Runa im Auge hatte. Für einen Moment vergaß ich beinahe, dass mir Velvet unheimlich fehlte und uns gewissermaßen das halbe Rudel abhanden gekommen war. Rudel? Waren wir denn überhaupt ein Rudel? Mittlerweile empfand ich es wohl tatsächlich so, auch wenn der Verlust sehr deutlich und ebenso schmerzhaft war.

Mittlerweile schien sich das kleine Trio dann gefunden zu haben und ich hob die Nase. Abgesehen davon dass mir jeder Geruch lieber war als der des Feuers, verriet mir meine Nase nicht allzuviel, denn der Wind hatte gedreht und weigerte sich, mehr als nötig über die Fähe zu verraten.

Ganz alleine musste ich da aber nicht durch, denn wie aus dem Nichts – und eigentlich gar nicht so unauffällig – hatte sich Skadi neben mich geschoben und wirkte für einen Moment wie mein Schatten.

Skadi schien sich zumindest sicher zu sein, dass es Arkanis war – und tatsächlich sprach Kimya’s Reaktion ja auch sehr dafür, dass hier gewissermaßen etwas verlorenes zurückgekehrt war – auch wenn wir es nicht waren, die es verloren hatten, sondern nur Kimya und Avis. Ich nickte Skadi kurz entgegen, blieb allerdings, wo ich war.

„Vielleicht weiß sie ja mehr…“. Aber worüber sollte sie mehr wissen? Ich wusste es selbst nicht so genau und hätte mir am liebsten umgehend auf den Lappen gebissen. Nun aber waren meine Worte nicht rückgängig zu machen und ich konnte von Glück sagen, dass eigentlich nur Skadi direkt neben mir stand und mich sonst wohl niemand hatte hören können.

Skadi aber schritt geradezu steifbeinig voran und ich hielt mich zurück. Abgesehen davon, dass ich meinen mochte dass Skadi sich Kimya gegenüber verpflichtet fühlte, war das wohl eher ein Fähending, weshalb ich mich in einem leichten Bogen neben Kimya gesellte, dem ähnlich wie zuvor Skadi bei Runa die Nase ins Halsfell stopfend und den Blick ruhig auf Arkanis ruhen lassend. Mochte das auf den ersten Blick wirken, als wolle ich Arkanis außen vor lassen, so war das im Gegenteil doch eigentlich eher eine Einladung und auch als solche zu verstehen.

[zunächst gleichauf mit Runa, dann Skadi, lässt sich fallen, trottet hinzu und behalsfellschnauft Kimya]


RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Arkanis - 11.06.2019

Ich nickte Rúna knapp zur Begrüßung zu, als sie nähertrat und musterte sie kurz. Sie machte einen freundlichen Eindruck, auch wenn sich leichte Verwirrung in Ihren Zügen finden ließ. Doch die misstrauische Seite in mir konnte vorerst keine Gefahr erkennen, die von ihr ausgehen könnte.
 
Ihre Frage ließ mich dennoch kurz zusammenzucken und mein Blick glitt wieder hinab zu Kimya, der so voller Freude und Zuversicht dort stand, so als könne ich all seine Probleme mit einem Schlag lösen. Ich schluckte, die alte Überforderung holte mich wieder ein, überrollte mich beinahe mit ihrer Intensität. Wieder musste ich mit Gefühlen umgehen, die nicht meine waren, musste erneut meinem Sohn wehtun und das, obwohl ich erst seit gefühlten Sekunden wieder hier war.
 
“Ja… ich bin allein.“, sagte ich vorsichtig, ohne Kimya aus den Augen zu lassen. Es tat mir weh, ihm diese Nachricht so tölpelhaft an den Kopf zu werfen und noch mehr schmerzte es mich, dass ich nun hier vor ihm stand, anstelle seines Bruders, den er sicher so viel lieber hier bei sich hätte.
 
Hinter ihm und Rúna tauchten weitere Wölfe auf, zwei, die ich doch recht gut kannte, und ließen mich kurz den Focus von meinem Sohn abwenden. Skadi trat neben ihre Rudelgefährtin und ich wollte gerade den Kopf zu einem kurzen Gruß senken. Es wäre übertrieben gewesen zu sagen, dass ich mich freute, sie zu sehen. Trotzdem war es ein Treffen zwischen alten Bekannten und es war nicht schlecht zu sehen, dass ein paar meiner früheren Weggefährten noch hier waren.
 
Doch dann sah ich Skadis Reaktion. Was sie sagte, war freundlich, doch mir entging der schneidende Unterton ebenso wenig wie ihre angespannte Haltung und das kurze Zucken ihrer Lefzen. Sofort stellte ich mich aufrechter hin, starrte ihr warnend in die Augen, mein Nackenfell stellte sich leicht auf. Wut über ihre Reaktion kochte in mir hoch, doch ich würde genauso wenig wie sie einen Streit hier vor allen beginnen wollen. Ich konnte mir vorstellen, dass Skadi sich am liebsten dazwischendrängen und mir die Leviten lesen wollte. Doch sie würde sich ein wenig gedulden müssen, bevor sie den Moralapostel spielen konnte. Dieser Gedanke befriedigte mich ein wenig, also ignorierte ich ihr nonverbales Gehabe und wandte mich Kaya zu.
 
Ein wenig alarmiert musterte ich den älteren Rüden, mein Instinkt erkannte eine mögliche Gefahrenquelle, sollte er sich ähnlich wie Skadi geben. Doch Kayas Haltung war entspannt, er wirkte nicht bedrohlich. Er schien es bisher nicht für nötig zu halten, sich Skadis Getue anzuschließen, was ich ihm hoch anrechnete. Ich nickte ihm höflich zu, als er neben Kimya trat und sich taktvoll aus den Spannungen heraushielt.
 
Rasch senkte ich wieder den Blick auf meinen Sohn. Die kurze Begrüßung der Erwachsenen war damit beendet und sofort wurde mein Blick wieder weicher und meine ganze Aufmerksamkeit lag nun auf Kimya. Besorgt senkte ich den Kopf ein wenig und sah ihn prüfend an.
 
“Geht es dir gut?“, fragte ich vorsichtig. Meine Stimme war rau wie immer, doch hörte man eine gewisse Sanftheit hindurch, die ich lange nicht mehr gezeigt hatte


RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Kimya - 12.06.2019

Ich war wieder wie ein kleiner Welpe, der aufgeregt vor Mutter saß und mit der Rute wild den staubigen Boden hinter mir fegte. Erst nachdem Kaya zu mir gekommen war und mir seine Nase ins Fell gesteckt hatte, hatte ich aufhören können aufgeregt zwischen allen Anwesenden hin und her zu laufen und immer wieder an Mamas Brust hoch zu springen um ihr an den Lefzen zu lecken. Nun kratzte ich mir statt dessen aufgeregt hinterm Ohr, um meine Bewegungsunruhe zu zügeln.
Als Mama dann sagte, dass sie alleine war, blieb auch meine Rute ruhig.
'Wo bist du nur, Avis?'
Fragte ich mich und die Traurigkeit ergriff mich wieder. Und damit blieb nicht nur meine Rute stehen, mein ganzer Körper gefror ein und das Gedankenkarussell startete.
'Du lebst, das weiß ich. Komm zurück Avis, bitte komm zurück.'

Trotz meines Gefühlschaos bekam ich mit, dass Mutter und Skadi ein Gefecht hatten. Wo die Feinheiten früher an mir vorbei gingen, so hatte ich in den Tagen nach dem Feuer vieles gelernt. Ich hatte gemerkt, dass alle die Hoffnung aufgegeben hatten und Avis keine Chance mehr gaben - und das sie alle nur mit kamen, um mir nicht diese böse Nachricht sagen zu müssen. Ich hatte gemerkt, dass sie mich beobachteten und über mich sprachen. Auch das Malik sich immer mehr zurück zog und mit Skadi bei jeder Gelegenheit aneinander geriet hatte ich gemerkt - auch wenn alle sich große Mühe gaben dies vor mir nicht aus zu tragen. Die Gruppe war still geworden - seit dem Feuer. Und doch gab es durchgehend eine Kommunikation zwischen allen. Ich hatte mich der Stille angepasst und gelernt die Feinheiten zu sehen. Die Körpersprache zu lesen.
So sah ich jetzt, dass Beide angespannt waren, die Lefzen anzogen und starre Ruten hatten. Skadis Worte waren gut gewählt - vor dem Feuer hätte ich ihre wahre Bedeutung nicht verstanden. Traurig sah ich zu Skadi auf.
'Nicht streiten! Mama wird nicht wieder gehen, jetzt wird alles gut. Glaub doch einfach mal an das Gute!'
Wollte ich ihr sagen. Aber ich blieb still. So wie in den letzten Tagen.
Als Mutters Schnauze wieder zu mir kam und ihre raue Stimme sanfte in meinen Ohren säuselte, drückte ich meinen Kopf an den Ihren.

"Nein."

Sagte nur und schüttelte den Kopf. Dann holte ich Luft und es sprudelte nur so aus mir heraus:


"Da war dieses Feuer, Mama. Es war Tagelang so heiß und wir haben Kaya gefunden. Und Avis und ich, wir waren nicht zusammen, als es kam. Er ist einfach gegangen und hat Chu mit genommen. Ich weiß jetzt, warum wir immer sagen sollen, wo wir sind! Tryss und Deka wollten ihn holen. Ihn, Chu und Erasmus. Und dann kam aber keiner mehr zurück! Aber ich weiß, dass er noch lebt. Wir wollten auch hinterher, aber Malik hat uns nicht gelassen. Aber Mama, ich weiß das Avis lebt! Er lebt Mama! Ich würde es doch spüren, wenn es ihn nicht mehr geben würde! Er fehlt mir so. Ich muss ihn finden, Mama."

Mir liefen die Tränen, während ich Mutter die Geschichte und alle Namen um die Ohren warf. Die Reihenfolge war verwirrend für alle, die nicht dabei waren. Aber das war auch die ganze Situation für mich. Und nach all der Tagen der Stille war es auch gar nicht so leicht, neben all den Gefühlen eine Strukturierte Abfolge der Geschehnisse zusammen zu fassen.


[Bekommt den nonverbalen Streit zwischen Skadi und Arkanis mit | Erzählt was passiert ist]


RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Rúna - 20.06.2019

Ein wahrer Strudel an Gefühlen wirbelte und zerrte an Arkanis. Beinahe schien er sie verschlingen zu wollen und nur mit großer Selbstbeherrschung riss sich die Fähe zusammen. Angesichts dessen, was ich über sie wusste und der Tatsache, dass nun ihr Sohn wieder vor ihr saß und sie freudig begrüßte, war es mir mehr als verständlich. Trotzdem bewunderte ich sie zu einem kleinen Teil für ihre Beherrschtheit. Viel mehr jedoch tat sie mir leid.

Kurz bevor Skadi und Kaya zu uns stießen beantwortete sie meine schlichte Frage und erzählte damit zugleich, dass sie entweder erneut ihre Gefährten verloren oder zumindest in oder nach der Feuerhölle auch keine weiteren getroffen hatte. Selbst sie, so glaubte ich, hätte nach solch einem Ereignis zunächst die Nähe anderer Wölfe gesucht. Wenn es sie denn gegeben hätte.

Skadis kurze Berührung erwiderte ich mit einem sachten Schnaufen in ihre Richtung  und einem ebenso kurzen Wischen mit der Rute. Doch unweigerlich fühlte ich die Spannung der vertrauten Fähe, hörte ihre Worte und vernahm ebenso wie alle anderen auch die Botschaft darunter.

Zu meiner Beruhigung ging Arkanis jedoch nicht weiter auf Skadi ein, sondern wandte sich wieder Kimya zu. Von ihrer Frage angespornt sprudelte der junge  Wolf sogleich auch seine Eindrucke des erlebten hervor. Und plötzlich wurde mir mit leisem Schmerz bewusst, wie gern ich seine Träne fortgeleckt und ihn beruhigt hätte. Vor Arkanis, seiner Mutter, jedoch hielt ich mich zurück und warf lediglich einen weiteren bekümmerten Blick auf den jungen Wolf. Was er erlebt hatte, hätte ich ihm zu gern erspart.

„Wir haben nach ihnen gerufen…. Jeden Tag, seit dem wir sie verloren haben…. Der Rauch und die Asche… es ist schwer etwas anderes im Wind wahrzunehmen…“,

wandte ich mich wieder an Arkanis. Meine Stimme war ruhig, doch die Worte kamen nur zögernd in kurzen Satzfetzen und spiegelten damit deutlich meine eigene Zerrissenheit über die Verluste wieder. Unweigerlich hatten Kimyas Worte ein leises Echo an Erinnerungen des schrecklichen Augenblicks in mir geweckt. Die Eindrücke der Flucht vor den Flammen, das allumfassende Grauen aller Tiere konnte ich nicht so leicht vergessen. Eines meiner Ohren zuckte und der Blick wurde wieder fester, fand das Hier und Jetzt und legte sich erneut auf Kimya und Arkanis.


RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Skadi - 25.06.2019

Arkanis verstand zweifellos, dass ich von ihrem Auftauchen nicht so überzeugt war, wie ihr Sprössling. Ihr Nackenfell hatte sich aufgestellt und kurz hatten wir einen festen, gegenseitig warnenden Blickkontakt. Für mich war es damit jedoch nicht getan. Ich wusste, dass ich mit ihr reden musste, bevor wir unseren Weg weiter gehen würden. Wir brauchten Wölfe, auf die wir uns verlassen konnten. Hin- und her funktioniert nicht - besonders nicht wenn das Schicksal von einem Welpen hinter den Entscheidungen steht. Mir wäre es völlig egal, ob Arkanis kommt und geht und das ständig tut. Aber Kimya braucht Beständigkeit. Er hat seinen Vater nie kennen gelernt, seine Mutter und seinen Bruder verloren. Er stand ganz alleine dort und nun gibt sie ihm all die Hoffnung auf ein glückliches Ende.

Die Herzzerreißenden Worte die er sprach, sein Körper und seine Worte, ließen die Wut auf Arkanis nur noch mehr hoch kochen. Ich konnte die Freude von Kimya nicht teilen. Ich sah nur die Aufbauarbeiten, die wir wieder leisten mussten, wenn Kimya wieder alleine gelassen wurden.

Rúna machte die Sache gut. Sie leitete Kimya Gesellschaft, stärkte ihm den Rücken und begleitete ihn durch die Erinnerung des Feuers und des ewigen Verlustes. Sie schützte seine gebrochene Seele und flickte sie mit ihrer Ruhe, Nähe und Geborgenheit. Sie hatte eine ganz besondere Rolle für Kimya eingenommen. Und Kimya hatte sich ihr zugewandt und sie als Vorbild, Lehrerin und selbst ausgesuchte Mutter anerkannt. Nachts schlief er bei ihr, Tags ging er durch ihre Schule.
Und nun musste er sein aufgebautes Leben wieder über Bord schmeißen.

Ich wandte mich ab. Ich sah Kaya in die Seelenspiegel, zweifellos konnte er meinen Zorn erkennen. Ich ging einige Wolflängen von der Situation fort, erst dann erblickte ich Malik. Der Rüde stand deutlich abseits. Er beobachtete aber hielt sich zurück. Schon seit einigen Monden war er auf Abstand gegangen und brachte sich kaum noch ein. Ich rechnete jeden Augenblick damit, dass er seine Weiterreise verkündete - oder einfach weg blieb. Die Muster des Abschieds erkannte ich inzwischen.


RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Kaya - 07.07.2019

Es war gar nicht so einfach, einen Punkt oder Ort zu finden, an dem ich nicht in irgendeiner Form störend wirken konnte. Aber schlussendlich schien es mir zu gelingen. Es war gar nicht so leicht, die vielen Einheiten an Größe, die ich nun einmal bildete, aus dem Geschehen weitgehend herauszuhalten. Aber es blieb auch dabei: Mit jeder Sekunde, die verstrich, wuchs meine innere Neugier. Eine Neugier die ich zuletzt als Welpe empfunden haben musste.

Der Vorteil an meiner Position war, dass ich der Unterhaltung bisher recht gut folgen konnte, ohne zwingend ein Bestandteil dieser zu sein. Deshalb schnappte ich auch auf, dass die Fähe wohl allein war – eigentlich ein Umstand, der mich unter anderen Umständen hätte misstrauisch machen müssen. Allerdings waren die Situationen im Moment sowieso meist ein wenig verworren und wer das Feuer auch nur gerochen hatte, der verstand, warum es in dieser Zeit Einzelgänger gab – ja geben musste! Ich nickte also stumm und lauschte, während ich aushielt, von der gräulichen angestarrt zu werden wie eine Erscheinung, jedenfalls kam es mir so vor.

Skadi war von Arkanis‘ Erscheinen nicht unbedingt angetan. Die Gründe dafür mochten im Dunkeln liegen, aber ich konnte mir gut vorstellen, dass es aus Damensicht nicht statthaft war, den Nachwuchs mehr oder minder sich selbst zu überlassen. Arkanis hörte aber schon bald auf, mich anzustarren und so konnte ich mich minimal mehr entspannen – wobei ich von den Anwesenden, Runa vielleicht ausgenommen, ohnehin der ruhigste und ausgeglichenste sein mochte – jedenfalls in diesem Moment und an diesem Ort. Arkanis jedenfalls widmete sich alsbald wieder Kimya, ich aber sah zu Runa und Skadi.

Kimya aber erzählte sogleich, was geschehen war, so dass er schnell meine Aufmerksamkeit wiedererlangte. Es tat gut, ihm zuzuhören, wobei das was er erzählte hierzu eigentlich nicht angetan war. Runa tat sich dann auf und übte sich im Beschwichtigen, aber wohl auch um darzustellen, warum Kimya sich fühlte wie er es tat – und warum Skadi agierte wie sie es tat. Innerlich bewunderte ich Runa für die Ruhe, mit der sie all das tat. Ich war mir nicht sicher ob ich dazu in der Lage gewesen wäre.

Skadi drehte schließlich ab und ich beschloss, ihr die wenigen Meter zu folgen. Runa, Arkanis und Kimya hatten ihre Situation unter sich zu klären, wobei ich Runa hierbei durchaus die Rolle als sanftmütige Vermittlerin zuzutrauen wagte. Ich aber hatte nun mit Skadi ein kleines Huhn zu rupfen – wobei mir natürlich sehr lieb gewesen wäre, jenes Federvieh würde danach in meinen ziemlich leeren Magen wandern. Aber das, lieber Leser, würde Utopie bleiben.

„Wie du dich sicher erinnern kannst, war ich einige Zeit fort….und wurde etwas freundlicher begrüßt, als es der Wölfin gerade zuteil wird. Magst du mir sagen, warum du so schaust, als würdest Du sie fressen wollen?“

Ich versuchte, einigermaßen freundlich dreinzublicken und versah Skadi mit einem Stupser an die viel zu schmale Nase. Dann fuhr ich fort.

„Malik schaut aus wie ein Reisender. Mit mir hat er noch nicht gesprochen, seit ich hier bin kaum ein Wort. Als seien wir nichts als lästige Konkurrenz. Aber um was? Wir sind kein Rudel, selbst um die Nahrung müssten wir nicht konkurrieren. Weißt du, warum er so ist wie er ist? Du scheinst ihn immerhin ein wenig zu kennen….“

Ich versuchte durchaus, meinem Blick eine gewisse Wärme mitzugeben. Eine solche, die als letztes wohl Velvet zu spüren und sehen bekommen hatte, aber unter ganz anderen Umständen. So ließ ich den Blick auf Skadi ruhen und wartete ab. Entweder würde sie mich anfallen – oder aber, so wie Skadi manchmal eben auch war, klarstellen, was ihr nicht passte. Da war ich mir ziemlich sicher.

[steht erst daneben, zieht sich dann kurz zurück und ist mit Skadi abseits]


RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Arkanis - 11.07.2019

Ich beobachtete Kimya und fragte mich, ob er mitbekommen hatte, was da zwischen Skadi und mir abgelaufen war. Früher wäre dieser kurze Moment einfach an ihm vorbeigezogen, doch er war älter geworden. Ich hatte einen großen Teil seiner Entwicklung verpasst und würde ihn erst einmal neu kennenlernen müssen…
 
Seine Trauer zog mir das Herz zusammen und mein Fell stellte sich leicht auf, als er seinen kleinen Kopf an meinen schmiegte. Es war eine Mischung aus mütterlicher Wärme und gleichzeitig brennender Hitze über mein Versagen, die sich in mir breit machte. Ein seltsames Gefühl…
 
Ich versuchte seine Worte zu verstehen, den Sinn dahinter zu greifen, doch er warf mit vielen Namen um sich und redete so wahnsinnig schnell. Doch was bei mir ankam war, dass Avis nicht alleine gewesen war, als das Rudel ihn verloren hatte. Tryss und Dekaja waren bei ihm gewesen, die beiden waren zwar jung, dennoch traute ich ihnen durchaus zu, für Avis zu sorgen. Das hatten sie ja früher auch oft getan.
Ein kleiner Funken Hoffnung machte sich in mir breit, auch wenn ich versuchte, das zu verhindern. Vielleicht waren sie ganz woanders und dachten ebenfalls, sie hätten den Rest des Rudels für immer verloren?
Ich war Realistin, durch und durch. Aber hierbei ging es um meinen Sohn. Ich musste glauben, dass er es geschafft haben könnte!
 
Im Augenwinkel nahm ich wahr, dass Skadi sich ein Stück entfernte. Augenblicklich wich ein wenig Anspannung von mir und ich schaute ihr schnaubend nach.
Gut, halt dich hier raus, dachte ich zufrieden und verengte die Augen, als Kaya ihr folgte. Was hatten die beiden vor? Planten sie etwas? Wollte Skadi den grauen Rüden auf ihre Seite ziehen? Misstrauisch verengte ich die Augen und beobachtete die beiden eine Zeit lang, ehe ich mich wieder den anderen beiden zuwandte.
 
Erst jetzt sah ich, dass Kimya weinte und legte leicht die Ohren zurück. Mein Blick glitt hinauf zu Rúna und ich lauschte ihren Worten, meine Augen verdunkelten sich leicht und meine Lefzen zuckten.

Gerufen habt ihr sie also? Das reicht nicht! Das ist zu wenig!, dachte ich aufgebracht und fühlte mich plötzlich gehetzt, so als bliebe uns nicht mehr genug Zeit, Avis zu finden. Dabei wusste mein Verstand genauso gut wie der der anderen, dass es kaum Sinn machen würde, nach Avis zu suchen. Im Rauch würde man ihn nicht wahrnehmen können, wie Rúna sagte. Ich warf ihr kurz einen weiteren Blick zu, dieses mal wieder neutral und hoffte, dass ich ihr nicht auf die Füße getreten war. Sie war bisher immer freundlich gewesen und außerdem schien sie Kimya wichtig zu sein. Da sollte ich es mir nicht gleich mit ihr verscherzen…

"Wer ist Erasmus?", fragte ich Rúna und hoffte, sie würde mir ein wenig entgegenkommen und fühlte sich nicht durch meine Gefühlsausbrüche gekrankt. Ich begann bereits wieder, strategeisch zu denken und mir selbst einen schlüssigen Weg zu erarbeiten, wie Avis aus dem Feuer gelangt war. Vielleicht handelte es sich bei Erasmus ja um einen älteren Rüden, der gut auf meinen Sohn aufpassen würde?

Mein Blick senkte sich wieder auf meinen trauernden Sohn und ich trat etwas näher zu ihm. Was sollte ich ihm sagen? Ich drückte meinen Kopf an seine Flanke und atmete ihm beruhigend ins Fell. Vor Rúna und den anderen kam mir diese Geste unpassend vor und ich fühlte mich viel zu beobachtet. Doch ich glaubte, Kimya würde nun diese Nähe brauchen und versuchte, mich nicht beirren zu lassen.
 
„Ich werde dir helfen, Kimya, flüsterte ich leise in sein Ohr. Dabei hatte ich bewusst nicht gesagt wir werden ihn finden oder ich werde dir helfen, ihn zu finden. Nein ich würde ihm nichts versprechen, was ich nicht halten konnte, das hatte ich zu oft getan. Ich versprach ihm hiermit nur, dass ich für ihn da sein würde, egal, was kommen würde. Mehr konnte ich ihm im Augenblick nicht geben.


RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Skadi - 12.07.2019

Als Kaya seinen Weg antrat um mir zu folgen, atmete ich innerlich erleichtert auf. Ich hatte über mich selbst gelernt; Ich konnte nicht mehr gut alleine sein.
Sicherlich genoss ich ruhige Momente und ich zog mich auch das ein oder andere Mal aus der Gruppe heraus. Wenn es die Situation ergab, jagte ich auch gerne ein Hasen nur für mich alleine. Aber die letzten Wochen, besonders die Tage nach dem Feuer, hatten mir die Augen über meine Stressbewältigung eröffnet.
Wenn ich angespannt war oder es mir aus anderen Gründen schlecht ging, war meine Strategie bisher die Flucht in die Einsamkeit. Ich musste all das mit mir selbst aus zu machen und erst wenn ich wieder einen klaren Kopf hatte, konnte ich Kontakte zulassen. Das hatte mir, bevor ich auf das Dorf mit Arkanis und Tryss und all den Anderen Stoß, viele Wochen der Einsamkeit gebracht.
Einsamkeit, in der ich alles mit mir selbst aus machte und ewig brachte, um alles zu verdauen. Es war wie Gift für mich, dass mich innerlich zerfraß.
Seit ich diese Gruppe kannte und mit ihnen reiste, war ich nicht mehr weggelaufen. Ich konnte mich zwar abschotten und abgrenzen, aber ich blieb. Und ich hatte gespürt, dass nur die Nähe der Anderen mir half. Anfänglich hasste ich die mitleidigen Blicke. Die Hilfe, die angeboten wurde. Aber irgendwann nahm ich innerlich die Hilfe an. Ich mochte den Austausch, der statt fand. Ich musste zwar noch immer nicht jeden Gedankengang aussprechen, aber ich hielt mich in der Nähe auf. Ich lauschte den Gesprächen, hörte mir die Empfindungen und Meinungen der Anderen an. Und es war gar nicht so selten, dass man ähnlich über etwas dachte. Und so konnte man zusammen diesen Kampf gegen die Gefühle angehen und musste es nicht alleine bewältigen.

Nun folgte Kaya mir also und ich wollte gerade über Arkanis schimpfen, als Kaya mir über das Maul fuhr.
Wütend zog ich die Lefzen an und mein Nackenfell stellte sich auf.
"Bist du wahrlich so blind, Kaya? Hast du vergessen, wie Avis und Kimya gelitten haben, als sie bemerkt hatten, dass sie weg war?"
Meine Stimme war ein leises und tiefes Grollen.
Ich atmete kurz durch,
"Kimya ist ein emotionales Wrack. Er hat immer und stetig Angst davor, dass er verlassen wird. Deswegen lässt er sich alles gefallen und macht es allen recht. Ist er eben noch voller Freude, so bricht er im nächsten Moment völlig zusammen."
Ich starrte auf den Welpen, währen dich von ihn sprach. Dann sah ich in die Ferne.

"Avis war zum Schluss voller Wut und Misstrauen. Er wollte immer stark sein für Kimya und ihn beschützen und er hat nie gespielt. Beiden wurde das Leben zerstört, weil die Mutter sie verlassen hat. Das wird sich doch nie richtig stellen, Kaya."
Meine Stimme war etwas sanfter geworden. Doch beim nächsten Satz war sie wieder voller Zorn.

"Und jetzt steht sie wieder da und Kimya legt alle Hoffnung in sie. Aber wenn sie wieder verschwindet, wenn sie ihn wieder im Stich lässt, dann können wir ihn nicht mehr auffangen. Dann ist er verloren, mehr als eh schon."
Nach einer kurzen Atempause ergänzte ich folgendes:
"Du hast niemanden zurück gelassen, als du gegangen bist Kaya. Du hast deine Vertraute mit genommen. Durch dein Gehen wurde niemand in Gefahr gebracht oder verletzt. Das ist der Unterschied."

Als er dann Malik zum Gespräch brachte, grollte ich wieder kurz. Wenn ich an den Rüden dachte, sah ich immer wie er sich mir in den Weg stellte. Wenige Atemzüge war er in der Gemeinschaft und stellte sich dann vor alle. Wut flammte wieder in mir auf.
"Du irrst dich. Ich kenne ihn nicht."

Ich hoffte, dass Kaya dadurch verstand, dass ich nicht gewillt war über den Rüden zu sprechen. Es war mir egal, ob er blieb oder ging. Ich sah den Vorteil, dass er ein kräftiger und erfahrener Rüde war, der bei der Jagd und beim erkennen von Gefahr hilfreich war. Aber als Teil der Gemeinschaft sah ich ihn nicht. Zwischenwölflich wollte ich keinen Kontakt pflegen. Kein Gespräch mit und über ihn führen, welches nicht notwendig war.

[Abseits mit Kaya]


RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Kimya - 16.07.2019

Vor meinem inneren Auge sah ich immer wieder die abgebrannte Lichtung, auf der wir so viele Stunden gewartet hatten. Und niemand war zurück gekommen. Niemand hatte auf unser Rufen geantwortet. Ich hatte bemerkt, dass die Erwachsenen immer widerspenstiger mit mir kamen. Aber nun hatten wir meine Mama wieder gefunden. Da mussten doch alle sehen, dass wir nun weiter suchen mussten! Außerdem waren wir nun einer mehr!
Ich dachte nicht an die leeren Mägen und das Jagen. Seitdem Avis verschwunden war, hatte ich kein Hungergefühl mehr. Für mich war es wie immer, irgendwann gab mir ein Erwachsener etwas zu Fressen. Ich war dürre geworden, aber auch das sah ich nicht. Das einzige, was ich fühlte, war die tiefe Traurigkeit, weil ich Avis so vermisste. Eine Unglaublich große Angst, dass wir ihn tot finden würden, wenn wir weiter reisen würden. Und eine Starre und Gelähmtheit. Eine Unfähigkeit, ohne Avis wie gewohnt weiter machen zu können.
Und in dieser Traurigkeit suhlte ich mich gerade, als meine Mutter ihren warmen Atem an meine Flanken brachte und ihre tröstenden Worte sprach.

"Suchen wir ihn?"

Fragte ich sie flüsternd, mein Blick blieb dabei auf dem kleinen Kieselstein heften, der vor meinen Pfoten lag.
Meine Trauer hatte mich inzwischen wieder so in dem Griff, dass es mir entging, dass Skadi und Kaya sich zurück zogen. Und auch das Malik gar nicht erst dazu kam bemerkte ich nicht mehr.

[Bei Arkanis und Rúna]



RE: PASSUS IX - Spuren in der Asche - Rúna - 26.07.2019

Dass Arkanis Augen sich für einen Moment dunkel färbten, entging mir nicht. Aber ich verstand sie, so dachte ich zumindest, und nahm es ihr keinen Moment übel. Anders als Skadi war ich damals nicht dabei gewesen, als Arkanis das Rudel und vor allem ihre beiden Söhne verließ. Die Fähe vor mir war mir eine Fremde, deren Wesen ich nicht kannte. Aber sie war die Mutter von Kimya und Avis und offenkundig sorgte sie sich nun sehr um die beiden. Ich wusste nicht warum sie damals gegangen war, warum sie ihre hilflosen Welpen zurück ließ, aber sie ließ sie in einer sicheren Gemeinschaft zurück, der sie offenbar vertraut hatte. Zudem gab es einen weiteren Grund aus dem ich nicht über sie zu urteilen wagte: Was war eigentlich mit dem Vater der beiden kleinen Rüden? Was war mit Arkanis Gefährtem geschehen, über den niemand je sprach? War er vielleicht der Grund aus dem sie noch nicht bereit gewesen war sich um ihre Sprösslinge zu kümmern?

Unzählige Fragen zu ihr und ihrer Geschichte wehte wie ein leiser Wind in meinem Hinterkopf. Gleichzeitig versuchte ich das eigene Verlustgefühl zu ignorieren, dass unweigerlich an meinem Herz zu kratzen begann. Es war nicht groß, es war nicht überwältigend, aber es war da als Arkanis ihren Sohn zu beruhigen versuchte und ihm Sicherheit gab. Obwohl ich nicht einmal ein volles Jahr mit diesen Wölfen wanderte, hatte ich vor allem Kimya tief in mein Herz geschlossen. Tiefer als mir selbst bewusst gewesen war. Vermutlich hatte ich in ihm tatsächlich so etwas wie meinen eigenen Sohn gesehen.

Arkanis Worte waren es, die meine Gedanken wieder in andere Bahnen lenkten und so hob auch ich meinen Blick wieder auf die Fähe,

„Erasmus ist ein erwachsener Rüde, der sich uns angeschlossen hatte. Bevor das Feuer kam war er mit Avis und Chu auf Erkundung gegangen…“,


antwortete ich ihr zwar knapp, aber sicherlich das wichtigste. Ihren Blick erwiderte ich noch immer, doch meine Haltung machte deutlich, dass die Worte mir alles andere als leicht fielen. Unvermeidbar zwang jedes Wort die Erinnerungen an das Erlebte vor meine Augen, die nun eher durch Arkanis hindurch zu blicken schienen.

Als Kimya mit tieftrauriger Stimme seine Frage an Arkanis flüsterte schien ein Riss durch mein Herz zu gehen. Meine Ohren senkten sich und meine ganze Haltung war niedrig und in sich gesunken. In diesem Moment, zum Glück in Kimyas Rücken, war es mir deutlich anzusehen, dass ich keine Hoffnung mehr hatte, Erasmus, Avis oder Chu lebend zu finden. Zu gut wusste ich wie sich Kimya fühlen mochte und ebenso wusste ich wie es sich anfühlte, wenn die verzweifelte Hoffnung sich am Ende als schmerzliche Illusion herausstellte. Der eine Augenblick, in dem ich meine ganze Familie verloren hatte, die Zeit der Suche, des Hoffens und schließlich der Moment der bitteren Erkenntnis… das alles war auch mir vertraut.

[Bei Arkanis und Kimya]