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Passus VII - Die erste Jagd - Druckversion

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RE: Passus VII - Die erste Jagd - Dekaja - 15.11.2016

Es wurde immer schwieriger. Eigentlich mochte man doch meinen, dass das nicht mehr ging. Aber erst Avis' Worte, auf die ich gerne noch geantwortet hätte, wofür aber nun keine Zeit mehr blieb und dann das überschlagen der Ereignisse im Lager. Wie Chu und Avis sich auf Kimya fokussierten und dennoch vor hatten ohne Rücksicht auf Verluste Tamias zu folgen. Ich hatte es die ganze Zeit nicht direkt wahrhaben wollen, aber es verletzte auch mich, wie schnell ihre Entscheidung gefallen war - als hätte es die anderen im Rudel nicht gegeben, als hätte auch ich keine Bedeutung, weil ich ja mit zu den 'Erwachsenen' zählte. Ich wollte nie erwachsen sein...oder wie Tamias. Tryss und ich waren doch immer die gewesen, die unvernünftig waren und sich in allerlei Sachen stürzten...

Ich kam als letzte am Lager an und bekam schon wieder mit, wie sich die Konflikte aufstauten. Wie Chu mit einem Tunnelblick zu Kimya ging, nur Tamias im Blick und Avis schon wieder Streit schürte. Das war doch ein Albtraum. Die Jagd hätte nicht einmal im Ansatz so enden sollen...dass Tryss schließlich zu mir kam, war ein kleiner Lichtblick, aber auch er führte nur dazu, dass sich meine Miene für wenige Sekunden aufhellte.

"Nichts ist in Ordnung...schau dir doch nur Avis und Chu an. Ich wollte nur helfen...ich habe versucht, sie zu verstehen...oh und das tue ich sehr gut. Ich würde Melf nach wie vor gerne helfen, aber gleichzeitig niemanden in Gefahr bringen...wir haben doch Rúna. Rúna hat Alvarez versorgt und sogar mich wieder heilen können. Ich bin mir so sicher, dass sie das auch mit Melf könnte....und falls er noch Freunde hat. Dann wäre doch allen geholfen, nicht wahr?"

Kurz ließ ich den Kopf hängen.

"Sie sind so wütend. Ich frage mich, ob das alles nur der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ich möchte nur nicht, dass alles hier zerbricht....Tamias ist vollkommen übergeschnappt, als wir aufgetaucht sind...er hat Skadi angegriffen....aber Avis und Chu verteidigen ihn dennoch...ich weiß nicht, was in letzter Zeit mit ihm los war. Ich hatte das Gefühl, ihm ist alles mehr und mehr egal geworden."

Kurz hob ich den Kopf und sah zu Chu.

"Vielleicht müssen sich alle Gemüter erst einmal beruhigen...ich weiß nur nicht, wie. Ich habe Angst, dass Chu...Avis...vielleicht auch Kimya einfach weglaufen werden, vielleicht noch Tamias hinterher, der umgekehrt einfach verschwunden ist und auch die Welpen so zurückgelassen hat....als gingen sie ihn nun nichts mehr an."


Verzweifelt vergrub ich meine Nase in sein tiefes Fell. Das war ein so großer Trost gerade.

"Bitte bleib wenigstens du bei mir...geh nicht fort..."

[Dekaja, Tryss| kommt am Lager an]


RE: Passus VII - Die erste Jagd - Kimya - 11.01.2017

Erschrocken zuckte ich zusammen, als Avis mich mit zorniger Stimme fragte, was mit meiner Pfote war. Ich blickte herab und sah erst dann selbst, dass sie blutete. Im ersten Moment konnte ich mich gar nicht entsinnen, dass ich wie besessen an meiner Pfote geknabbert hatte, bis Erasmus mich aufgelesen hatte. So tief hatte der erste Schock gesessen, aus dem ich mich langsam erholte.
Dann hörte ich wieder Avis mit seinen Phrasen. Seinem 'wir haben dich alles richtig gemacht' gerede.
Nein, das haben wir nicht! Wir haben alles falsch gemacht! Verstehst du das denn nicht? Hör doch mal zu und nicht nur dein eigenes dummes gelaber!

Doch dann schlug auch noch Chu mit ihren Worten direkt in meine Magengrube. Sie hatte das unverbünftige Verhalten meines Bruders einfach adaptiert!

"Chu... hör doch zu. Wir können nicht helfen!"

Sagte ich aufgebracht, ungeduldig und langsam zornig werdend. Dabei betonte ich das Wort Wir besonders.

Und dann wurde Avis immer lauter und bechimpfte mich. Er stellte all mein handeln in Frage, mit einer gewalt in der Stimme, die meine Rute einziehen und einen devoten Schritt zurück gehen ließ. Von unten blickte ich in die Augen von Avis. Hätte ich gewusst, dass es Sorge war, die ihn so in Aufruhr brachte, hätte ich vielleicht anders reagiert. Aber in diesem Moment fühlte ich mich von ihm nur bevormundet und missverstanden. Ich fühlte mich so missverstanden, dass ich seinen herunterhängenden Kopf nicht als Niederlage seines verstand, sondern so interpretierte, als würde er wegen mir jovial den Kopf schütteln.

Mehrfach schnappte mein Maul auf, um eine Antwort zu geben. Mehrfach versagte mir die Stimme. Bis ich endlich den Kloß im Hals herunter schluckte, einen bedeutenden Schritt auf Avis zu ging und meine Rute aus wieder auf stellte. Meine Nase war nun auf der Höhe von Avis' und ich begab mich auf Augenhöhe mit ihm.

"Wie redest du eigentlich mit mir? Reiß dich gefälligst zusammen und hör mal zu! Du bist so ignorant und so dumm und du denkst nur an dich und dein dummes Gehabe und dein möchtegern Ruhm!
Du kannst gar nichts ausrichten, Du kannst niemanden helfen! DU bist einfach noch ein unwissender dummer Welpe, der es nicht wahr haben will, dass er noch ein NICHTS in dieser großen Welt ist!"


Während ich immer lauter wurde und mich in meine Ansprache richtig rein steigerte, stellten sich meine Nackenhaare auf. Unbewusst war ich noch einen Schritt auf Avis zu gegangen. Wütend schnaubte ich beim Atem durch meine zitternde Nase auf die seine, die sich durch den Schritt nun fast berührten.
Wäre nicht Chu, die neben uns völlig verzweifelte, hätte ich wohl komplett meine Kontrolle verloren, stadtdessen jaulte ich mit all der Energie die durch die plötzliche Wut in mir aufgekommen war.

"Unsere Heilerin ist hier und kümmert sich um dich Melf. Komm zu uns zurück und wir helfen dir! Komm zurück!"

Mein Blick wanderte zu Chu.

"Wir müssen hier bleiben bis wir sicher sein können, dass wir gesund sind. Wenn du uns danach wieder verlassen willst, dann wäre ich sehr traurig. Aber du würdest dich und jeden den du begegnest in Gefahr bringen, wenn du jetzt gehst. Komm bitte mit."


RE: Passus VII - Die erste Jagd - Tryss - 14.01.2017

Es versetzt mir einen tiefen Stich in der Brust, Deka so niedergeschlagen zu sehen. Mein Blick wurde weich und verständnisvoll, als sie all ihre Sorgen leise aussprach. Als sie den Kopf mutlos senkte, schob ich meine Nase darunter und drückte ihn sanft nach oben. Ich wollte sie so nicht sehen. Das war nicht Deka. Das war einfach so nicht richtig.

„Nichts wird zerbrechen. Nicht, wenn wir das nicht zulassen. In jeder Familie gibt es Streitigkeiten – auch große. Aber jeder Zwist endet. Auf Regen folgt Sonnenschein. Wir werden eine Lösung finden.“

Ich wisperte die Worte, meinen Fang direkt neben ihrem Ohr. Als ich geendet hatte, trat ich einen halben Schritt zurück und blickte ihr direkt in die Augen – erwartungsvoll und mit treuem Blick – bevor ich die Nase noch einmal gegen Dekas stupste. Gleichzeitig begann es in meinem Kopf zu arbeiten – wie sollte diese Lösung aussehen? Wie konnten wir die Welpen zum Einlenken bewegen, ihnen zeigen, dass sie und Tamias nicht egal waren und gleichzeitig uns nicht in unnötige Gefahr begeben oder etwas Unsinniges anstellen (Die Ironie dessen, das insbesondere der letzte Gedanke von mir stammte, war mir durchaus bewusst.)? Dekas Nähe hatte zumindest auf mich eine äußerst beruhigende Wirkung. Mein Herzschlag ging ein wenig seichter, meine Muskeln hatten sich entkrampft und auch der Zorn und die Sturheit, die vor wenigen Minuten noch ihren eisernen Griff um mich geschlungen hatten, ließen langsam wieder lockerer und verschwanden in unterschiedliche Richtungen. Als Deka die Nase mit der herzzerreißenden Bitte in mein Fell steckte, riss sie mich aus meinen Gedanken – aber das machte mir nichts aus. Ich legte den Kopf sanft an ihren und schmiegte mich fürsorglich an sie.

„Ich gehe nirgendwohin. Wir sind doch eine Familie. Wie Bruder und Schwester – schon vergessen?“

Die Erinnerung an unser Versprechen trieb mir einen Kloß in den Hals. Ich schloss die Augen und genoss die Wärme ihres Fells, ihren Geruch, ihre Nähe. Vielleicht war es die Entspannung, vielleicht etwas anderes. Aber mir schien, ich hatte eine Idee, die vielleicht alle... zufrieden stellen konnte. In meinem Kopf zumindest. Wie die anderen reagieren würden, war wie immer ja selten absehbar. Ich öffnete die Augen und löste mich sanft von Dekaja, lächelte ihr noch einmal sanft zu und wandte mich dann wieder den anderen zu. Es war, als ob ich in eine andere Welt übertrat, denn das erste, was mich empfing, waren Chus Tränen und Kimyas Wutausbruch gegenüber Avis. Heureka. Das war etwas Neues. Normalerweise verteidigte Kimya seinen Bruder, wo er konnte, war der Sanfte und Gutmütige von beiden. Dass er so wütend wurde.. sie waren alle sehr müde und mitgenommen.

„Kimya... hör auf. Avis ist nicht dumm und auch kein nichts. Und er ist dein Bruder.“


Ich ließ den letzten Satz einen Moment so stehen und ihn wirken. Blut ist dicker als Wasser. Das ist, was meine Mutter mir eingeschärft hatte. Wir mussten uns beruhigen, eine Lösung finden, damit die jungen Wölfe zur Ruhe kommen konnten und sich nicht noch weiter hochschaukelten. Kimya bat Chu zu bleiben und schickte eine Nachricht Richtung Melf – ich bezweifelte, dass er den Ruf des Kleinen auf eine solche Entfernung vernehmen konnte. Aber es war wohl Kimyas Art und Weise etwas zu tun. Ich trat noch einen Schritt von Deka weg auf die anderen zu.

„Wie wäre es, wenn Deka und ich den beiden folgen? Dann könnte Rúna sich um Kimya, Avis und Chu kümmern und ihr könntet euch erst einmal ausruhen. Skadi ist ebenfalls verletzt und könnte eine Rast gebrauchen. Und Erasmus...“

Ich blickte den fremden Rüden direkt und kurz an.

„...muss ebenfalls hierbleiben, weil er mit Kimya Kontakt hatte und ebenfalls infiziert sein könnte. Wenn wir Tamias und Melf finden, dann bringen wir sie hierher, damit Rúna sie ebenfalls gesund pflegen kann. Und da wir beide nun um die Gefahr der Krankheit wissen, könnten wir uns so verhalten, dass wir uns selbst nicht anstecken. Natürlich nur, wenn du nicht zu erschöpft bist, sonst gehe ich auch allein.“

Bei den letzten Worten hatte ich mich zu Deka umgewandt – mit einem entschuldigenden Blick dafür, dass ich sie einfach so mit hineingezogen hatte, ohne vorher zu fragen. Dass Tamias wahrscheinlich nicht sonderlich erpicht darauf sein würde, einen fremden Wolf in unseren Reihen vorzufinden, ließ ich besser unerwähnt. Stattdessen wandte ich mich wieder zu den anderen, zog die Augenbrauen erwartungsvoll nach oben und ließ den Blick über alle Gesichter streifen, gespannt auf die Antwort – oder den nächsten Wutausbruch.

[Erst etwas abseits bei Deka, dann an alle anderen gerichtet]


RE: Passus VII - Die erste Jagd - Avis - 19.01.2017

Die ganze Situation war so aus den Fugen geraten. Mein Kopf kam an seine vollste Belastungsgrenze. Ich sah in das Gesicht meines Bruders, mein Innerstes bestand nur aus Angst, Angst ihn zu verlieren. Angst ihn genau so leiden zu sehen. Doch er verstand mich nicht, das wurde mir jetzt klar, genau in dem Moment als er mich dumm nannte. Ein Nichts. Sein Blick war so voller Wut. Das war ich also für ihn, ein Nichts. Diese feste Erkenntnis rammte mir schier die Pfoten weg. Ich wankte kurz. Kimya war immer alles für mich gewesen. Alles. Das einzige Grund warum ich lebte, warum es mich gab. Ich musste ihn beschützen. Und er? Er brauchte mich nicht. Nein. Ich schluckte einmal, noch ein zweites Mal, aber der Brocken in meiner Kehle wollte nicht verschwinden. Einen kurzen Moment war mein Blick ein offenes Buch, der Schock über die gesagten Worte war mir anzusehen, ebenso die tiefe Traurigkeit, die diese neue Tatsache mit sich brachte.

Doch dann bekam ich ausgerechnet von Tryss unerwartet Hilfe. Ein Ruck ging durch meinen Körper, er wurde steif, zur Salzsäule erstarrt. Ich blickte durch meinen Bruder hindurch. Er brauchte mich nicht, hatte es wahrscheinlich nie getan und dabei war er doch immer mein einziger Gefährte gewesen, er und ich, allein. Nun nicht mehr. Ich ließ ihn einfach stehen, konnte ihm nicht antworten, drehte mich um, musste hier weg. Einfach nur weg, ganz weit weg und dann stand Chu vor mir.

Ich hatte sie neben mir völlig ausgeschalten und nun sah ich das Resultat meiner Worte. Ein Träne rann durch ihr Gesicht. Ja, ich war realistisch und das machte mich offenbar zu einem herzlosen Monster, ich wollte sie alle beschützen, auch Chu, ich wusste wie es war verlassen zu werden und meine Art trieb sie weg von mir.

„Es tut mir leid Chu...“

Meine Stimme kam gebrochen, leise, sie gehörte nicht zu mir und doch war sie meine. Rau wie ein Reibeisen, es fiel mir schwer Worte zu fassen.

„Ich weiß wie es ist verlassen zu werden....aber du bist nicht alleine. Ich bin da, Kimya auch und Dekaja und auch Tryss und Skadi... und Runa“

Es fiel mir eigentlich nicht schwer die Namen aufzuzählen, immerhin war ich nun schon viele Monde mit ihnen gewandert, hatte ihnen vertraut. Ich presste meine Nase ganz nah an ihr Ohr, bot ihr Trost und eine Stütze, obwohl ich dieae selbst gerade dringend nötig hatte.

„Weißt du, als meine Mama uns verlassen hat, da gab es nur Kimya und mich. Ich habe  mir geschworen meinen Bruder immer zu beschützen, ihn niemals allein zu lassen, ihn niemals leiden zu lassen. Ich hatte nur ihn, er war und ist mein Leben. Ich habe auch das gleiche bei dir gedacht. Ich habe versagt.“

Meine Stimme war sehr leise, aber für nahestehende Wölfe wahrscheinlich dennoch zu hören, trotzdem waren sie eindringlich und ehrlich.

„Du hast ihn gehört, ich bin eh nutzlos und dumm und kann dir nicht helfen, aber ich kann hier für dich da sein und mir dir warten. Bitte bring du dich nicht auch noch in Gefahr!“

Ich hatte Tryss Vorschlag am Rande gehört und da ich weder körperlich, noch emotional in der Lage war irgendetwas zu machen, war das wahrscheinlich am besten.  

Ich schaute Chu mit leeren blanken Blick an, erschüttert, verletzlich, nicht mehr ich selbst.



[geschockt von Kkimya, reagiert auf Chu]


RE: Passus VII - Die erste Jagd - Chu - 29.01.2017

Am liebsten hätte ich mich einfach zusammengerollt und gewartet, bis all das vorbei war. Bis Tamias wieder da war und alle sich wieder vertrugen, bis alles wieder gut war. Doch nicht einmal ich schaffte es noch länger, mich in meine sichere Traumwelt zu flüchten. Nicht wenn um mich herum alles zu zerbrechen drohte und sich plötzlich auch noch Kimya und Avis gegeneinander wandten.  

„Lasst das“, fiepte ich und schob mich vorsichtshalber dicht an Avis‘ Seite, als Kimya ihm mit gesträubtem Nackenfell immer dichter auf die Pelle rückte.  

Noch immer liefen die Tränen, jetzt aber nicht nur wegen Tamias und dem vermeintliche Unrecht, das ihm widerfuhr, sondern auch der bösartigen Dinge wegen, die die beiden Brüder sich an den Kopf warfen. Vor allem Kimya ging in meinen Augen zu weit und ich verstand die Welt nicht mehr – so hatte ich ihn noch nie gesehen, dermaßen außer sich vor Wut und mit gesträubtem Nackenfell, als wolle er gleich auf seinen Bruder losgehen. Und die Dinge, die er sagte, waren so gemein, dass ich unwillkürlich zusammenzuckte. Am meisten erschreckte mich aber, dass Avis, der sonst so selbstsicher und souverän wirkte, keinerlei Anstalten machte, sich zu wehren. Also musste ich das für ihn übernehmen, ob ich wollte oder nicht.

„Dann bist du auch nur ein dummer Welpe“, erinnerte ich ihn mit zitternder Stimme. „Avis ist nicht nutzlos und auch nicht egoistisch, er wollte mir nur helfen. Wenn, dann bin ich schuld…“

Nicht gerade die beste Argumentation aller Zeiten, aber im Moment war mein Kopf so leer wie selten zuvor. Da reichte es gerade mal, den Spieß um zu drehen und den in meinen Augen schlimmsten Vorwurf abzuschmettern. Glücklicherweise sprang mir Tryss unerwartet bei, dem das Ganze allmählich wohl auch zu bunt wurde. Doch der Schaden war bereits angerichtet, Avis wirkte am Boden zerstört.

„Quatsch!“ Empört zwickte ich ihm ins Ohr. „Du musst dich nicht entschuldigen, du kannst doch auch nichts dafür. Tryss und Deka werden Tamias zurückholen, hörst du? Und dann wird alles wieder gut. Jeder für sich genommen sind wir vielleicht ein Nichts, aber wenn wir zusammenhalten, können wir das schaffen...“

Beim letzten Satz warf ich Kimya einen ängstlichen und gleichermaßen flehenden Blick zu. Inzwischen wollte ich nur noch, dass die Zwei sich wieder vertrugen, so naiv das vielleicht auch sein mochte. Vielleicht war zu viel passiert, vielleicht stand zu viel zwischen ihnen. Aber sie waren Brüder und ich wusste, dass sie einander brauchten. Es musste ihnen nur erst wieder einfallen. Tröstend presste ich mich an Avis. Ich hätte ihm noch so viel zu sagen gehabt, doch stattdessen fuhr ich ihm nur mit der Zunge über die Stirn, so wie meine Mutter das damals bei mir gemacht hatte, als ich noch ganz klein war. Mir hatte das jedenfalls immer geholfen. Dann wandte ich mich mit ernstem Blick an Tryss, der gerade zunehmend zu meinem Held mutierte, und blinzelte zu ihm empor.

„Kannst du ihm sagen, dass wir hier auf ihn warten? Und dass ich … dass ich ihn immer noch lieb habe“, fügte ich leise hinzu.

Am Ende traute Tamias sich womöglich vor lauter Scham nicht mehr nach Hause. Nein, er musste wissen, dass ich immer noch auf ihn wartete und dass ich zwar vielleicht nicht verstand, warum er so gehandelt hatte, ihn aber auch nicht dafür verurteilte. Letztendlich hatte er es nur unseretwegen getan, weil er helfen wollte. Daran glaubte ich ganz fest


RE: Passus VII - Die erste Jagd - Kimya - 31.01.2017

Eine Mischung aus Entsetzen, Reue, Scharm und Wut kroch in mir auf, als ich die Reaktionen mitbekam, die mein Wutausbruch auslöste. Reaktionen, die ich unfair fand! Immer war ich der Ruhige und Liebe. Der, der sich beschimpfen lies. Der, der von seinem Bruder Kleingehalten wurde. Der, der einstecken musste. Der, der dann die Rute einzog und auf sich rumtanzen ließ. Und nun war ich ein Einziges Mal der, der seine Wut aussprach und ich wurde mit Entsetzen in den Augen angestarrt!
'Das ist Unfair! Einfach nur Unfair! Als hätte ich meinen Bruder den Tot gewünscht. Dabei habe ich nur mal ein Machtwort gesprochen!'

Vor allem von Avis hatte ich eine ganz andere Reaktion erwartet. Ich hatte mich darauf eingestellt, dass er mich Maßregeln würde, wie immer, wenn wir nicht einer Meinung waren und er mir seine aufdrücken wollte. Ich war darauf vorbereitet, dass wir den größten Streit ausfechten würden, seit wir auf der Welt sind. Womöglich für immer Verstreiten würden. Und dann zeigte er plötzlich, dass er eine verletzbare Seite hatte. So traurig hatte ich ihn erst ein Mal erlebt, und zwar als Mama nicht mehr zu uns zurück gekommen ist. Wobei ich dann der war, der weinte und seiner Trauer volle Fahrt gewährte und Avis es tapferer geschluckt hatte und mich getröstet hatte.
'Ich bin ein schrecklicher Wolf'

Mein Maul ging unmerklich weiter auf, während ich fassungslos Chu und Avis und Tryss anstarrte. Meine Rute zog sich enger an meine Hinterläufe.
In dieser Situation fühlte ich mich mehr als unwohl. Aber mir fiel nichts ein, wie ich diese absurde Situation ändern konnte. Alle waren wütend auf mich und Entsetzt über mein Verhalten. Dabei war ich doch nur ein Mal so wie sonst Avis ist - und bei ihm wurde das Tag für Tag geduldet.
Ein Markerschütterndes Winseln entfuhr mir, als ich sah, wie Chu über Avis Stirn schleckte.

'Und was ist mit mir? Wer kümmert sich um mich?'

Traurig wand ich den Kopf ab. Ich ertrug es nicht zu sehen, wie Avis und Chu einander hatten und ich ganz alleine gegenüber stand.

[Aus Wut wird Scharm und Trauer. Reflektiert die Situation. Schweigt]


RE: Passus VII - Die erste Jagd - Tryss - 01.02.2017

Es war herzzerreißend die beiden Brüder so zu sehen. Avis, getroffen von Kimyas Worten. Kimya, getroffen von Avis' Reaktion auf seinen Wutausbruch. Ich konnte beide gut verstehen – und wünschte mir doch nichts anderes, als dass sie ihren Zwist vergessen und wieder so werden konnten wie zuvor. Liebende Brüder, die nur sich hatten und zusammenhielten. So, wie es eine Familie tun sollte. Ich widerstand dem Drang, mich nach Dekaja umzusehen. Und ich widerstand dem Drang etwas zu sagen, mich einzumischen, mich auf eine der beiden Seiten zu stellen. Es wäre einfach gewesen, doch es kam mir falsch vor. Diesen Streit mussten die beiden unter sich ausfechten – und ich hoffte, dass sie es konnten und dass die jungen Wölfe sich wieder vertragen würden, auch wenn ihre Beziehung wohl kaum mehr so werden würde, wie sie gewesen war.

Mein Vorschlag war immerhin bei Chu auf Zustimmung gestoßen. Weder Skadi, noch Rúna und auch Deka erhoben keinen Einwand gegen das Vorhaben und so ging ich davon aus, dass auch sie nichts gegen den Plan hatten, auch wenn sie keinerlei Regung zeigten. Womöglich waren sie betroffen, in Gedanken, zu geschockt, um eine Entscheidung zu treffen.

„Das mache ich, natürlich.“


Als Chu mich bat Tamias etwas auszurichten, wandte ich ihr meinen Blick zu, der weich wurde. Ich hoffte nur, dass wir ihn wirklich finden würden – und dass Chus Nachricht den alten Sturkopf vielleicht zur Rückkehr bewegen konnte. Ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich wollte, dass der Rüde wieder zu uns stieß. Natürlich hatten wir viel gemeinsam erlebt und natürlich waren wir so etwas wie Freunde. Doch der Rüde hatte sich verändert, hatte Unruhe in die Gruppe gebracht und sie nun soweit getrieben, dass wir beinahe auseinanderbrachen. Aber um Chus Willen hoffte ich, dass er einsichtig sein würde, sich vielleicht wieder ändern konnte. Ich wandte mich um und sah zu Deka.

„Komm, beeilen wir uns lieber, bevor sie zu weit voraus sind“, sagte ich, wartete, bis sie bereit war und setzte mich dann in Bewegung.

[bei den anderen]


RE: Passus VII - Die erste Jagd - Avis - 20.02.2017

So war es dann, da stand ich nun mit vollkommen leeren Kopf. Ich war ein Nichts, für meinen Bruder war ich ein Nichts und genauso fühlte ich mich auch. Er war schließlich alles für mich und auch wenn ich stets hart und unnahbar zu ihm war, so hatte ich ihm nie, niemals NIE das Gefühl geben wollen nichts wert zu sein. Er war mein Bruder, er war mein halt, die einzige Konstante die ich gehabt hatte. Aber ich war ihm offenbar egal. War ich es schon immer. Chu stand immer noch dicht in meiner Seite, ich konnte ihre Wärme spüren, sie war tröstlich und angenehm. Es dauerte einen Augenblick bis ihre Worte endgültig bei mir ankamen, bis ich merkte, dass sie mich vor meinem Bruder in Schutz nahm.

„Zusammenhalten….“


Ein leises Wort als Erwiderung. Das war offenbar ein Schlüsselwort in dieser Gruppe und etwas woran es uns allem ziemlich mangelte. Eigentlich gab es hier keinen Zusammenhalt. Ein Wunde das wir alle noch lebten, ach nein halt. Ich könnte ja sterben, wäre vielleicht am besten für Alle. Es war echt verrückt. Hatte ich mir doch nichts sehnlicher gewünscht als Zusammenhalt unter uns jungen Wolfen so standen wir jetzt da als wären wir Feinde. Ich hob meinen Kopf, ein dankbarer Stupser an Chu für ihren Versuch mich aufzumuntern.

Dann starrte ich meinen Bruder an, schluckte schwer und ging auf ihn zu. Warum ich das jetzt tat wusste ich nicht. Meine Füße trugen mich einfach, bis ihn direkt vor ihm stand. So nah, er konnte wahrscheinlich meinen Atmen spüren. So nah brachte ich meinen Fang an sein Ohr. Seine Haltung und auch sein Blick wirkten so deutlich auf mich. Ich wollte meinem Bruder nie verletzten, hatte es nie gewollt. Ich wollte ihn immer nur schützen. Vielleicht war es an der Zeit über meinen Schatten zu springen, wenn nicht hier, dann  wahrscheinlich nie. Es gab keinen passenden Augenblick, aber ich konnte ihn niemals aufgeben. Meine Gefühle waren  tief verwurzelt, er war ein Teil von mir. Meine Stimme klang  wie ein  Reibreisen so rau, die Worte kratzten leise über meine Stimmbänder und ich musste mehrmals schlucken um sie loszuwerden…

„Kimya du bist mein Bruder, alles was ich immer wollte war dich vor allem zu beschützen. Du bist alles. Alles! Du standest stets hinter mir, damit ich  an erster Stelle stand um mich schützend vor dich zu werfen, ich dürfte dich nicht verlieren. Du warst meine ganze Welt. Du warst stets für mich der einzige Grund meines Daseins. Ohne dich gäbe es mich nicht. Ich war hart, damit du weich sein konntest, damit du du sein dürftest….ich liebe dich kleiner Bruder….du bist stets der beste Teil von mir“


Bei den letzten Worten war meine Stimme nur noch ein Hauch, so leise und nur für Kimya bestimmt, meine Nase stupste kurz an seine Flanke. Der vertraute Geruch stieg in mir hoch, Zuhause. Das war er immer gewesen. Ohne nochmal aufzusehen drehte ich ab…..mein Kopf brauchte eine Pause und ich auch…

„Lass uns abwarten was passiert Chu, wir können eh nichts mehr machen…“

Auch in ihr trottete ich vorbei und legte mich an den nächsten Baum und rollte mich zusammen.


RE: Passus VII - Die erste Jagd - Chu - 26.02.2017

Ich nickte Tryss erleichtert zu. "Danke." Das war alles was ich herausbrachte, dann blickte ich den beiden Wölfen stumm hinterher, die nun zu Tamias' Rettung aufbrachen. Sofort ging es mir ein bisschen besser. Vielleicht waren die Wölfe dieses Rudels einander doch nicht so egal, wie ich in meiner ersten Verzweiflung befürchtet hatte. Dabei war mir letztendlich gleich, ob Tryss nun wirklich um Tamias' Willen aufbrach oder es mir zu Liebe tat. Am Ende kam es aufs Gleiche raus - er tat es nicht für sich selbst und ich hatte erreicht, was ich wollte. Mehr konnte ich von niemandem verlangen.
Doch während in mir wieder ein Funke Hoffnung keimte, wirkten die beiden Brüder an meiner Seite entzweiter denn je. Einen Herzschlag lang fragte ich mich, ob ich daran schuld war. Ich hatte schließlich Avis dazu angestiftet, Melf und Tamias hinterherzulaufen. Bei dem Gedanken zog sich mein Magen zusammen und ich winkelte unbehaglich die Ohren an. Mir war bewusst, dass Avis'  Worte nur für Kimya bestimmt waren und so wandte ich demonstrativ den Blick ab, um ihnen einen Moment für sich zu lassen. Trotzdem fing ich die meisten Satzfetzen ebenfalls auf und konnte nicht verhindern, dass meine Augen wässrig wurden. Wie gern hätte ich auch einen Bruder oder einen Papa gehabt, der so etwas zu mir sagte. So viel Intimität hatte ich bisher nur erlebt, wenn ich mit Anyana gekuschelt und sie mir zärtliche Worte ins Ohr geflüstert hatte, die ich nicht verstand. Sofort vermisste ich sie wieder und ich musste heftig blinzeln, um mich nicht zu verraten. Als ich den Blick hob und wieder zu den beiden Brüdern blickte, war dieser kurze Moment der Vertrautheit bereits wieder vergangen. Einige Herzschläge lang blickte ich Avis stumm hinterher, dann wandte ich mich unsicher an Kimya.

"Komm, Kimya. Lass' uns zusammen warten", bot ich leise an und machte dann einen Schritt in Rictung Avis', ehe ich stehenblieb und abermals seinen Blick suchte.

Ich wollte ihn nicht allein hier stehen lassen, wo er doch zu uns gehörte und immer gehört hatte. Egal was er gerade denken mochte. In meinen Augen waren wir ein eingespieltes Dreierteam gewesen, bevor alles schiefgegangen war. Und das wollte ich wieder zurückhaben.


RE: Passus VII - Die erste Jagd - Kimya - 02.03.2017

Kennt ihr noch diese starre Haltung, die man als Welpen einnimmt, wenn ein Erwachsener einen trägt. Aus dem größten Spaß und der heftigsten Keilerei lässt man sich mit diesem Biss heraus ziehen und hängt steif aber sanft herunter. Es ist irgendwie auch ein Gefühl der Geborgenheit, wenn zum Beispiel Mamawolf einen nimmt und aus der Situation heraus trägt. Man starr und abwesend alle Kontrolle abgeben kann und nichts zu befürchten hat.
Die entsprechende Körperhaltung hatte ich eingenommen; Ich konnte mich nicht bewegen. Wartete darauf, dass mir jemand zur Hilfe eilte - aber wo blieb der warme Atem am Nacken, der das baldige Abheben ankündigte? Wo blieb derjenige, der mich aus der Situation hob und an einen besseren - oder ruhigeren Ort trug?
Er kam nicht. Und würde auch nie wieder auftauchen. Denn dafür war ich inzwischen zu groß. Niemals wieder würde mich ein ausgewachsener Wolf nehmen und Situationen für mich lösen. Genau so wenig reichte es aus, einfach nur zu gehen, zu schlafen und nach dem erwachen vergessen zu haben, dass überhaupt ein streit statt gefunden hatte.
Ich hatte mich weiter entwickelt. Ich konnte und musste nun Verantwortung für meine Taten tragen. Mein junges Alter entschuldigte nicht mehr jede Tat.

Avis war ganz dicht an mich heran getreten und sprach immer leiser werdend zu mir. Das erste mal zeigte er mir, dass er Gefühle hatte. Und er erklärte sein hartes Auftreten. Noch nie hatte ich ihn so erlebt. Und ich hatte ihn zuvor als Nichtsnutz und schlimmeres beschimpft.
Oh ich fühlte mich so schrecklich in diesem Moment.
Aber sein abdrehen und gehen machte es nicht besser. Wo eben noch seine Wärme zu spüren war und seine Nase meine Flanke berührte - und es sich anfühlte wie erstickende Hitze - da blieb nun klirrende Kälte die mit jedem entfernenden Schritt von ihm mehr stach.

Erst als Chu mich ansprach, konnte ich mich wieder bewegen. Ich sah sie an, sah, wie sie Avis hinterher ging, dann aber stehen blieb um auf mich zu warten. Und ich dankte ihr vom ganzen Herzen dafür. Ich hätte es nicht verkraftet, wenn ich ganz alleine zurück geblieben wäre - alle erwachsenen hatte ich inzwischen ausgeblendet - und aus eigener Kraft hätte ich nicht den Antrieb gefunden zu Avis zu gehen. Ich wusste auch jetzt noch nicht, wie es weiter gehen sollte, als ich neben Chu her ging. Aber es war die richtige Richtung!

"Ich.. ich meinte es gar nicht so böse Chu. Ich wollte niemanden verletzen. Das wollte ich nie. Bitte glaub mir das, Chu, ich wollte nie zu den Bösen gehören! Und ich wollte nie alles kaputt machen."

sagte ich ganz leise und wehleidig, während ich den Weg zu Avis so langsam wie es nur möglich war ging.

[Folgt Chu zu Avis]