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Tryss und Kenzo - Nach Passus IV - Druckversion

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Tryss und Kenzo - Nach Passus IV - Kenzo - 05.01.2012

Die Jäger hatten sie hinter sich gelassen und die Verluste waren gering, wenn man bedachte, was alles hätte passieren können. Schon vielen – zu vielen – hatten die Menschen den Tod gebracht. Mit Feuer und Schwert, Pfeil und Bogen. Ja, auch ihre Hunde brachten den Tod, sie und all die anderen, die der Mensch sich Untertan gemacht hatte.Seit hunderten von Jahren gab es daher dieses eine, unumstößliche Gesetz: Stelle dich niemals gegen den Mensch. Einem Hund, der auch nur ein einziges Mal nach der Hand seines Herrn schnappte, drohte die Todesstrafe. Was stand dann nun mir bevor?

Obwohl die Bedrohung vorerst vorüber war, kehrte ich nicht in die Stadt zurück. Noch nicht. Denn immerhin wusste ich, dass ich wenig Chancen hatte hier draußen auf Dauer zu überleben. Die Menschen hatten aus mir und meinesgleichen Krüppel gemacht, die abhängig von ihren Herren waren. Ich hatte zweifellos meine Vorzüge, aber die Jagd gehörte nicht dazu. Manchmal gelang es mir etwas zu reißen, aber das war mehr ein Glücksspiel als eine ausgeklügelte Jagdtaktik. Aber um zu überleben, konnte ich mich wohl kaum auf mein Glück verlassen. Aus einstmalig stolzen Jägern hatten die Menschen Aasfresser gemacht.Doch der Gedanke an die Städte und was mich dort womöglich erwartete, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich hatte die räudigen Kreaturen gesehen, Fäulnis ihr Atem, Krankheit ihr ständiger Begleiter – und Wahnsinn in den trüben Augen. Sollte auch ich so enden? Wenn es einen anderen Gott als den Menschen für einen Hund gab, so hoffte ich beinah auf Gnade. Alles, nur nicht das.

So trieb ich mich unweit der Wölfe herum. Nicht weil ich darauf hoffte etwas von ihrer Jagdmahlzeit abzubekommen – denn zur Hölle, ich würde nicht betteln – sondern weil es hier so gut wie überall war. Vermutlich. Ab und an erhaschte ich einen Blick auf den einen oder anderen von ihnen, aber ich suchte keinen direkten Kontakt – wenn ich Anfeindungen hören wollte, brauchte ich mich nur dem nächsten Dorfrand zu nähern, wo Kinder Steine nach Streunern warfen und die Dorfmeute mit gehässigem Gebell über einen herfiel.Ich hatte mir eine kleine Bodenmulde unweit des kleinen Bachlaufs gegraben, wo ich nun einen Großteil des Tages verschlief. Mein Magen hatte schon aufgegeben zu Knurren und so gab es wenig, das meine Ruhe störte.



- Tryss - 05.01.2012

(da hat jemand die erste Person vergessen ;))

Wir hatten es geschafft. Ich realisierte noch immer nicht genau, wie wir es eigentlich fertig gebracht hatten. Aber wir waren entkommen. Wir waren den Menschen, der Jagdmeute mit Hund und Pferd entkommen. Und die meisten von uns lebten auch noch. Ich war erleichtert, traurig und verwirrt zugleich. Nur von fern drangen die Stimmen der anderen zu mir. Ich saß bei ihnen, blickte aber nicht zu ihnen und beteiligte mich auch nicht an ihren Gesprächen. Etwas anderes hatte meine Aufmerksamkeit gefesselt. Ein anderer Mitreisender. Kenzo saß abseits und beschäftigte sich mit sich selbst. Und ich sah ihm dabei zu. Unschlüssig war ich, ob ich zu ihm gehen sollte, ihn fragen sollte, was mich beschäftigte oder ob ich ihn in Ruhe lassen sollte, weil er mich ohnehin nur für einen jungen, dummen Wolf hielt. Ich warf einen kurzen Blick zu den anderen, doch die waren miteinander beschäftigt. Meine Ohren flippten kurz – ein Zeichen der Unsicherheit und Nervosität – dann wandte ich den Kopf wieder ab und stand auf. Langsam, beinahe so als ob ich zufällig in seine Richtung schlenderte, bewegte ich mich in Richtung Kenzo. Es brachte nichts. Ich musste es jetzt wagen, egal wie seine Antworten ausfallen würden. Morgen schon konnte er verschwunden sein. Nur weil er uns geholfen hatte, hieß das nicht, dass er sich uns anschließen wollte – und auch nicht, dass die anderen ihn mitnehmen geschweige denn akzeptieren würden. Abgesehen davon wusste ja niemand, wann die nächste Jagdmeute hinter uns herhetzen würde. Das Problem an diesem Leben war eben, dass man nie genau sagen konnte, wann es beendet sein würde. Kheran war das beste Beispiel dafür, dass dies schneller geschehen konnte, als uns lieb war.

Ich schlenderte also zu Kenzo und je näher ich ihm kam, desto zögerlicher und vorsichtiger waren meine Schritte. Ich wollte ihn weder er- noch verschrecken und ich wollte mir die Möglichkeit offen halten Fersengeld zu geben, wenn es sein musste. Obwohl das eigentlich nicht meine Art war. Als nur noch einige wenige Meter Abstand uns trennten blieb ich stehen und blickte den Rüden kurz schweigend an. Zweimal spielten die Ohren, mein Herz klopfte etwas lauter. Es war mir wichtig, das hier zu tun, obwohl die Antwort auf meine Fragen auch auf eine Weise ausfallen konnte, die mir nicht gefallen würde. Aber um überhaupt etwas zu hören, musste ich einen Anfang machen. Ich nahm mir vor nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen oder um es in Scherzkeksmanier auszudrücken: Mit dem Tryss ins Dorf.

„Ähm... Kenzo? Ich...äh... danke. Ohne dich wären wir wahrscheinlich alle Jagdtrophäen geworden.“

begann ich ein wenig zögerlich und befand einige Augenblicke später, dass ich mich anhörte wie ein stammelnder Trottel. Wahrscheinlich dachte Kenzo das Gleiche, aber ich war darauf bedacht seinem Blick nicht direkt zu begegnen. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Stattdessen starrte ich abwechselnd auf den Boden vor meinen Pfoten und die Bäume hinter dem Hund, bis ich den Mut fand um noch einmal den Fang zu öffnen und ein lapidares Gespräch zu beginnen, weit weg von dem, was ich eigentlich erfahren wollte.

„Was hast du nun vor? Ich meine... wohin gehst du? Zurück zu den Menschen eher nicht, nehme ich an?“

Immerhin besaß ich nun den Schneid ihn vorsichtig anzusehen, auch wenn ich mich nicht als mutig bezeichnet hätte. Ich war ein bibbernder Feigling, der sich nicht traute direkt zu fragen, was er wissen wollte. Wie untypisch.



- Kenzo - 05.01.2012

'Beschäftigte sich mit sich selbst' traf es ganz gut. Immerhin gab es sonst wenig zu tun. Ich rechnete nicht damit, dass die Schmähungen aufhören würden, nur weil ich meinen Hals für diese wilden Biester riskiert hatte – Dankbarkeit schienen sie jedenfalls nicht zu kennen. Bisher hatte ich immer geglaubt, dass ich verbohrt sei, was meine Ansichten anging, aber hier gab es einige, die viel schlimmer waren. Natürlich hatte ich meine Abneigung wie alle Hunde mit der Muttermilch aufgesogen und dennoch... wofür hatte ich einen Kopf, eigene Gedanken und Überlegungen? Denn immerhin gab es nun keinen Herrn mehr, der Gehorsam forderte, der erwartete, dass ich diese Bastarde vom Dorfrand fernhielt. Sie alle jedoch hatten keinen Herrn und trotzdem waren sie schlimmer was ihre Beleidigungen anging.
Ich dachte da viel pragmatischer. Im Moment nutzte mir mein Hass auf die Wölfe überhaupt nichts – wir teilten uns immerhin gerade dasselbe Gebiet und wenn ich nicht in eine Stadt oder Dorf zog, blieb das wohl auch erst einmal so. Auskommen war das Nützlichste für beide Seiten. Doch die Wölfe fühlten sich stark, solange sie auf einem Haufen hockten, und nahmen sich deshalb all die Frechheiten heraus. Aber ich hatte Geduld – jedenfalls eine Weile. Zwei aus diesem Pack hatten sich ja nun besonders unbeliebt bei mir gemacht – deren Schnauzen hatte ich mir gemerkt. Nur für den Fall.

Als ich also in meiner Mulde lag und entspannt vor mich hin dämmerte, vernahm ich jene tappenden Schritte des schlaksigen Jungwolfs. Die Augen nur einen Spalt öffnend erkannte ich ihn wieder, weshalb ich auch erst einmal liegen blieb. Allzu alt konnte er wirklich noch nicht sein – an Erfahrung wie an Jahren, wenn man so wollte. Aber er hatte zumindest eine gewisse Intelligenz bewiesen, die ich an anderen durchaus zu schätzen wusste. Ich hatte schon genug dümmliche Hunde im Gefolge gehabt und sie waren selten für viel zu gebrauchen gewesen als hirnlos Befehle auszuführen – einfache, denn ansonsten vermasselten sie auch das.
Einen Moment lang überlegte ich, ob ich so tun sollte, als bemerkte ich den jungen Rüden gar nicht – was eine gute Taktik war, wenn man den anderen entweder mit Verachtung strafen wollte oder den Eindruck erwecken, dass die Sinne eines Hundes so schlecht waren, wie diese elenden Wölfe behaupteten. Aber keines von beiden erschien mir diesem Wolf gegenüber sinnvoll. Außerdem roch ich seine Nervosität, was den Anschein lügen strafte, dass er nur 'ganz zufällig' hier vorbeischaute. Ich vermutete eher, er hatte sich das hier lange überlegt... und seinen ganzen Mut zusammengekratzt. Ich konnte nicht umhin, die Winkel meiner Lefzen zuckten amüsiert. So abfällig diese Wölfe stets taten, sie alle fürchteten Hunde wie mich.
Als Tryss also nun nahe genug heran war, öffnete ich die Lider ganz und musterte ihn noch einmal genauer. Betont entspannt streckte ich einen Vorderlauf durch, sodass meine Krallen sich bogen und ins Erdreich bohrten, während sich meine Zehen spreizten. Schließlich kreuzte ich meine Läufe locker und hob den Kopf, wobei ich zwar aufmerksam war, aber zugleich eine Spur skeptisch. Hatten die anderen den armen Kerl vorgeschickt, um mir zu sagen, dass ich Land gewinnen sollte? Zuzutrauen wäre es ihnen – wenn der böse Hund jemanden fraß, dann wenigstens nur einen von ihnen. Wobei, wenn ich es recht bedachte, sie wären wohl im Trupp aufgetaucht, um sich keifend Gehör zu verschaffen. Also konnte das hier vielleicht doch noch interessant werden – was wollte der Rüde wohl?

Sein Dank kam etwas überraschend und so nickte ich nur leicht, beiläufig um nicht allzu viel von meiner Irritation durchblicken zu lassen. Eine typische 'Schon-Gut-Geste'. Allerdings amüsierte es mich tatsächlich, dass der Wolf derart stotterte, als hätte er vor Schreck vergessen, was er eigentlich sagen wollte. Er hatte sich doch bestimmt etwas zurechtgelegt, oder nicht? Leicht neigte ich den Kopf und meine dunklen Augen fixierten den Wolf. Diesen Blick konnte man durchaus als Starren interpretieren. Vielleicht eine kleine Provokation, aber da Tryss es von sich aus mied mich direkt anzusehen, war der Versuch ihn zu testen allzu verlockend.
Als er doch endlich einmal zu mir herüber sah, fing ich seinen Blick für einen Moment auf, bevor ich – mich leicht räkelnd – verhalten gähnte. So gönnte ich ihm zwar einen schicken Ausblick auf mein kräftiges Gebiss, machte aber zugleich klar, dass ich zwar könnte, aber wohl nicht vorhatte ihn zu fressen.

Über seine Fragen – er stellte schließlich gleich drei – dachte ich erst einen Moment nach. Ich fragte mich, was er damit bezweckte – herausfinden, wie lange sie meine Nähe noch ertragen mussten? Ich entschied mich für eine mäßig angriffslustige Frage, gleich auf gut Freund zu machen, kam mir nicht in den Sinn. So verengte ich die Augen leicht.

„Du kennst die Menschen schlecht, wenn du schon so eine Frage stellst“, erwiderte ich kehlig, „denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen mich noch bei sich dulden, ist eher gering. Was ich vor habe?“ Ich lachte heiser auf, eher kühl und ohne echte Emotion.

Ja, was hatte ich vor? Ich wusste nur, was ich nicht vorhatte: zu verrecken und eine dieser abstoßenden Kreaturen zu werden, die in den Städten lauerten. Ich würde mich aber auch nicht von diesen Wölfen zum Narren halten lassen. Denn im Endeffekt... ich hatte nur noch wenig zu verlieren. Wenn ich krepierte und dafür einen dieser vorlauten Wölfe das freche Maul gestopft hatte, dann war das doch gut genug.

„Überleben. Erscheint dir vielleicht einfach, ist es aber nicht unbedingt.“ Jedenfalls nicht für ihn, denn er hatte kein elendes Gefolge, dass ihm den Arsch nachtrug, wenn er nicht allein zurecht kam.



- Tryss - 09.01.2012

Ich hatte keine Angst vor dem Rüden, auch wenn mein Verhalten vielleicht diesen Eindruck erwecken mochte. Aber nein. Meine Läufe fühlten sich nicht an wie wabbeliger Matsch, weil ich vor den Zähnen des Hundes erschauderte, mein Herz schlug nicht schneller, weil mich die Muskeln oder die Kraft Kenzos beeindruckten. Einmal angesehen, brachte ich es aber wenigstens zustande mein Gegenüber ein wenig länger und eingehender zu betrachten. Seine Bewegungen fielen mir kaum auf, ebenso wenig wie seine Zähne. Wenig beeindruckend, wenn man bedachte, dass mein Vater sicher um einiges größer gewachsen war als der Rüde und ich mehr als einmal Bekanntschaft mit seinem Unmut und ab und an auch mit seinen zurückgezogenen Lefzen machen durfte. Nein, ich stand mir selbst im Wege und es wäre schön gewesen etwas wie 'wieder einmal' denken zu können. Leider war das absolut nicht meine Art, was die Situation im Prinzip noch verschlimmerte.

Kenzos rauhe Antworten machten es nicht leichter auf den eigentlichen Grund meines 'Besuches' zu sprechen zu kommen. Genau genommen waren sie unglaublich unhöflich. Ich hatte ihm nichts getan, hatte mich sogar bedankt und hegte keinen Groll gegen den Rüden. Er dagegen schien mir nicht wohlgesonnen, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte warum. Weil wir dafür verantwortlich waren, dass er den Platz bei seinen Menschen verloren hatte? Weil ein paar meiner Mitreisenden wenig begeistert von seinem Auftauchen waren? Nun, das war nicht mein Fehler. Ich runzelte also ein wenig verärgert die Stirn und schüttelte den Kopf. Meine Antwort fiel dennoch leise und ruhig aus, auch wenn sich die Nervosität keineswegs gelegt hatte.

„Das stimmt, ich kenne die Menschen nicht. Du könntest mir von ihnen erzählen? Immerhin hast du bei ihnen gelebt. Ich würde gerne mehr über sie erfahren, denn das Einzige was ich von ihnen weiß, ist dass sie mich und meine Art jagen.“

antwortete ich wahrheitsgemäß, denn abgesehen davon, dass ich von Kenzo hören wollte, was mit Ares geschehen war, interessierte mich tatsächlich, was es mit den Zweibeinern auf sich hatte. Warum waren sie, wie sie waren? Warum waren sie so viel stärker als wir? Und warum gehorchten die Hunde ihnen, warum folgten sie ihnen so willenlos? Das alles wollte ich erfahren, doch meine Prioritäten waren anders gelagert. Im Moment. Als er meine zweite Frage beantwortet hatte, veränderte sich der Ausdruck auf meinem Gesicht ein wenig. Ich legte den Kopf leicht schief und betrachtete den Hund eine Sekunde schweigend. War das ein Anflug von Verzweiflung in seiner Stimme? Bis jetzt hatte er auch überlebt!?

„Das weiß ich, seit ich das erste Mal die Wurfhöhle verlassen habe. Ich hätte an jedem Tag meines Lebens sterben können. Zertrampelt von dem Wild, das ich jage, zerbissen von einem deiner Sippe, erschossen von Menschen. Ich habe den Tod oft gesehen. Dass ich noch lebe verdanke ich denen, die an meiner Seite waren und mir geholfen haben. Meiner Familie. Aber die ist dank deiner Menschen wahrscheinlich tot.“

Meine Erwiderung war nüchtern, meine Nervosität verflogen. Ich konnte nachvollziehen, dass der Rüde Angst um sein Leben hatte, dass er leben wollte und nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Aber mit pampigen Antworten würde er auch nicht weit kommen, so viel stand fest.



- Kenzo - 13.01.2012

Sicher, es gab Wölfe die größer waren als ich, aber in dieser Gegend kaum welche, die massiger waren, kräftiger. Hinzu kam, dass manche Hunde kaum Beißhemmung besaßen oder weniger bedacht zupackten. Jenes 'Feingefühl' mochte für Wölfe wichtig sein, denn es hätte nur das Rudel gefährdet, wenn es zu ernsthaften Beißereien mit schweren Verletzungen gekommen wäre, doch für uns Hunde war eine Gemeinschaft weniger wichtig. Wir hatten nicht die Notwendigkeit an das Wohl der Gruppe zu denken, daher waren unsere Drohungen durchaus ernst zu nehmen, auch wenn Tryss gerade einen Hund mit seinesgleichen verglich.

Im Übrigen war ich auch nicht unhöflich, ich war nur nicht gleich sonderlich freundlich. Tryss war immer noch ein Wolf und dass man sich hier nicht gegenseitig angriff, war eigentlich schon höflich genug.
Natürlich wusste ich vieles über die Menschen, wobei man sich fragen durfte, was der Wolf mit diesem Wissen anfangen wollte. So musterte ich ihn erst einmal nachdenklich, bevor ich kehlig brummte, was zu einem heiseren Knurren wurde, als mir Tryss seine Lebensgeschichte erzählte. Ja, die ach so bösen Hunde, sicherlich. Es war so verdammt einfach, nicht wahr?

"Verzeih, wenn sich mein Mitleid in Grenzen hält", erwiderte ich trocken und fixierte den Wolf einen Moment. "Ich verdanke mein Leben allein mir. Kaum ein Hund kennt seine Familie und auch ich erinnere mich kaum an meine Mutter. Es sind die Menschen, die uns aufziehen - und die vom Tag unserer Geburt an entscheiden, wer lebt und wer stirbt. Dennoch ist es unsere Aufgabe sie zu achten und sie sind unsere neue, unsere einzige Familie. Ich glaube, du hast nicht die leiseste Ahnung wie das ist. Du liefst Gefahr von Wild zertrampelt zu werden? Von Menschen oder meinesgleichen getötet zu werden?"

Ich schnaubte und hob leicht die Lefzen an. "Ein Hund weiß sehr wohl, dass es der Mensch ist, der jeden Moment entscheiden kann, dass sein Leben keinen Wert mehr hat. Und jeder andere Hund ist kein Freund, er ist ein Konkurrent - um Futter, Anerkennung... darum geht keiner mit dem anderen zimperlich um. Jeder elende Fresser weniger ist eine Erleichterung."



- Tryss - 18.01.2012

Mit jedem von Kenzos Worten wurde mir ins Gedächtnis gerufen, wie wenig ich über die Menschen wusste. Wie wenig über das Leben bei ihnen, wie wenig über ihre Beweggründe, ihr Denken, ihr Tun. Ich schwieg solange Kenzo sprach und ließ auch danach eine kurze Pause entstehen, um das Gehörte zu verarbeiten, darüber nachzudenken und mir wohl zu überlegen, was ich fragen wollten. Kenzo, so erschien es mir, gehörte nicht zu den Rüden, die man ohne Pause ununterbrochen viele Fragen stellen konnte, schon gar keine beliebige Anzahl. Irgendwann würde Schluss sein. Dennoch platzte es förmlich aus mir heraus.

„Warum bist du dann bei ihnen geblieben? Das klingt mir wahrlich nicht nach Lebensfreude. Warum macht ihr Hunde euch von den Menschen abhängig? Warum geht ihr nicht einfach, wenn sie jeden Tag euer Tod sein können?“

Es erschien mir ein wenig unverständlich. Ich würde sicher nicht bei dieser Gruppe bleiben, wenn ich Kaya oder Tamias fürchten müsste. Wenn ich jeden Tag auf meinen Rücken achten müsste, weil ich fürchtete, dass einer der beiden mir hinterrücks den Gar ausmachen würde. Waren Hunde und Wölfe in diesem Punkt ihres Denkens und Handelns so weit voneinander entfernt? Oder sollte ich gänzlich aufhören die Hunde mit uns vergleichen zu wollen? Sicher, sie sahen anders aus. Dennoch nutzten sie die gleiche Körpersprache, waren genauso gebaut und irgendwie mit uns verwandt oder nicht? Wie konnten wir dann doch so unterschiedlich sein? Waren daran allein die Menschen schuld? Und konnte man überhaupt sagen, dass die Schuld hatten? Waren nicht die Hunde selbst für ihr Handeln verantwortlich?

„Es muss sehr einsam sein, als Hund. Ich verstehe nicht, warum ihr euch nicht gegenseitig unterstützt? Wenn es bei den Menschen nicht genug gibt, hättet ihr euch zusammentun können und jagen können. Oh... oder... Ihr lernt doch das Jagen? Uns jagt ihr, also könntet ihr auch Wild jagen. Nicht?“

fragte ich und blickte zum Ende meiner Worte hin immer zögerlicher, unsicherer und zweifelnder drein. Nein, wenn ich es mir recht überlegte hatte ich in den Wäldern noch nie einen Hund angetroffen, der allein auf einem Streifzug war um Wild zu erlegen. Obwohl ein Wolf Meister des Verbergens war, wenn er wollte, konnte ich mir bei Kenzo nicht wirklich vorstellen, dass er sich lautlos und wie ein Schatten fortbewegen konnte. Wobei ich ebenso gelernt hatte, nicht vom Äußeren auf das Innere zu schließen. Ohje, welche Verwirrung!



- Kenzo - 19.01.2012

Vermutlich war ich tatsächlich nicht dazu gemacht lautlos oder unauffällig zu sein. Ein Hund meiner Statur bestach durch Kraft - sowohl körperlich als auch bei ihrem Biss. Geringes Schmerzempfinden, Furchtlosigkeit. Zu meinem Schlag zählten jene Hunde, die im Krieg die Beine der Pferde zerfetzten oder sich bei Jagden solange in der Beute verbissen, bis diese erschöpft aufgab oder die Menschen sie endgültig erlegten. Die wenigsten Hunde jedoch werden heute noch zum gezielten Töten der Beute geboren.
Tryss' Fragen waren nicht schwer zu beantworten - denn auch wenn es kaum einer glauben wollte, ich hatte lange Zeit über ähnliches nachgedacht. Mich mit Überlegungen beschäftigt, die verrückt schienen und doch Sinn ergaben. Ich musterte den Wolf eine Spur skeptisch. Was es richtig diese Gedanken zu teilen? Würde ein ausgerechnet ein Wolf das begreifen, was viele Hunde nicht begreifen wollten? Und... war es eine Schwäche, wenn ich das sagte, was er so lange in Gedanken gewälzt hatte? Meine Schlüsse offenbarte? Schließlich jedoch holte ich Atem und mein Blick schien sich noch eine Spur zu verdunkeln.
War es einsam als Hund? Nein, eigentlich nicht, jedenfalls kam kein Hund auf diesen Gedanken, solange er so lebte, wie seine Instinkte es ihm diktierten.

"Wir jagen", erwiderte ich gewohnt kehlig, "aber wir töten keine Beute mehr - oder sagen wir kaum. Ich kenne keinen Hund, der in der Lage wäre von der Jagd zu leben."

Das war nicht gelogen. Diejenigen, die töteten, waren die Menschen. Natürlich konnte es passieren, dass wir etwas erwischten, keine Frage, aber es war nie... gezielt. Nie eine ritualisierte Jagd. Es war Glück, vielleicht ein wenig Können und ein Hauch eines uralten, aufwallenden Instinkts. Dennoch - für kleine Beute mochte das genügen, aber jede größer, selbst wenn es nur ein Reh war, kam meist mit ein paar Bissverletzungen davon. Ich hatte auch andere Hunde beobachtet. Der Drang das Wild zu hetzen war ungebrochen, zu schnappen und Blut zu schmecken... aber die wenigsten wussten, wie sie zupacken mussten, um ihre Beute effektiv zu erledigen. Ja, das konnten Wölfe, aber egal ob ein Teil unsere Blutes sich ähnelte - der Mensch hatte uns verändert. Für immer.

"Und warum ich geblieben bin? Weil ich beide Seiten der Menschen kenne. Hast du eine Ahnung, was Dankbarkeit bedeutet? Denn es sind die Menschen, die einen Hund mit Nahrung versorgen, die uns einen Schlafplatz geben - und eine Aufgabe. Sie vertrauen uns."

Wieder hielt ich inne und ein Muskel in meiner Miene zuckte angespannt. Ich spürte es, konnte es aber nicht verhindern. Das Folgende fiel mir deutlich schwerer in Worte zu fassen.

"Menschen sind wie.... Götter. Launisch und unberechenbar. Aber man beißt nicht in die Hand, die einen füttert... und die dafür sorgt, dass man überlebt. Du hast sie nie gesehen, nehme ich an... die Hunde ohne Herrn, die in den Städten hausen..."

Rauher wurde der Klang meiner Stimme, bis ich verstummte und nicht weitersprach. Aber ich hatte diese Kreaturen gesehen, diese widerwärtigen Ungeheuer, Krüppel und Seuchenbringer, die sich vom Unrat der Menschen ernährten. Ich spürte jenes mir bekannte Ziehen in der Brust... und mit Erstaunen musste ich mir eingestehen, dass es Furcht war. Ich fürchtete diese Biester. Fürchtete ebenso zu enden. Das war kein Leben mehr, das jene führten, es war ein Albtraum.



- Tryss - 25.01.2012

So richtig verstand ich nicht, was Kenzo mir sagen wollte. Sie jagten, sie hetzten, sie stellten das Wild. Und dann brachten sie es nicht fertig zuzubeißen? Wollte er mich für dumm verkaufen? Mir einen Bären auf die Wolfsnase binden? Wenn ich ihn mir ansah, konnte ich mir das kaum vorstellen, allerdings konnte ich ebenso wenig glauben, dass das der Wahrheit entsprechen sollte. Ich warf Kenzo einen misstrauischen, ungläubigen Blick zu und schüttelte den Kopf.

„Dann lernt ihr es. Alles ist lernbar, wenn man nur neugierig bleibt. Aber ihr habt euch abhängig gemacht. Du sprichst von Dankbarkeit und davon, dass die Menschen dir ein Heim gegeben haben. Aber das können andere Hunde auch. Das können Wölfe auch geben. Ein Rudel ist das Heim. Aber wir sind nicht von der Gnade der anderen abhängig. Unsere Eltern und die anderen Wölfe verschaffen uns Nahrung, aber deshalb lassen wir uns nicht zu dummen Lämmern erziehen, die nicht selbst denken. Wir lernen, wie wir uns selbst durchschlagen können. Weil wir überleben müssen. Ich verstehe nicht, warum ihr das nicht auch tut. Was würdet ihr tun, wenn die Menschen sterben würden? Einfach aussterben?“

Das konnte ich mir kaum vorstellen. Jedes Lebewesen besaß doch einen Überlebensinstinkt, das ihn zum Lernen antrieb. Und der dafür sorgte, dass man nicht kampflos einfach das Feld räumte.

„Nein, das habe ich nicht. Aber – verzeih mir – mein Mitleid hält sich in Grenzen. Wer sich sein Leben lang auf andere verlässt, der kann mit nichts anderem rechnen. Und du hast dich auch über Wasser gehalten. Warum habt ihr euch nicht zusammengetan und seid zur Jagd gegangen? Selbst wenn ihr nicht genau wisst, wie man mit Bissen tötet. Mit mehreren Hunden und jedem einzeln Biss lässt sich Wild auch zum Verbluten bringen. Es dauert länger, aber ist möglich. Wieso seid ihr nur so darauf fixiert allein zu sein?“

Ich wollte Kenzo nicht anklagen, ich verstand ihn lediglich nicht. Immer mehr Fragen schossen durch meinen Kopf, so dass ich den Grund meines Kommens schon fast wieder vergessen hatte. Doch ich wollte erst begreifen, warum der Hund dem Wolf nicht gleich war. Ich wollte wissen, wie dieser Hund tickte, wie wir ihn besser verstehen konnten. Und ich wollte wissen, was die Menschen so einzigartig machte, dass sie es fertig brachten eine ganze Tierart zum Sklaven und Hörigen zu machen.